Schünemann & Volic: Kornblumenblau

Am 5. Oktober 2004 kamen in einer Belgrader Kaserne zwei Soldaten unter mysteriösen Umständen ums Leben. Die Armee spricht von Suizid und lässt die Ermittlungen schnell fallen. Doch eine unabhängige Expertenkommission kommt zu dem Schluss, dass eine dritte Person die Soldaten aus nächster Nähe erschossen haben muss. Diese wahre Begebenheit ist Vorlage für Kornblumenblau, den ersten Krimi um Ermittlerin Milena Lukin. Obwohl – Ermittlerin ist zuviel gesagt, denn Lukin ist kein Detektiv oder bei der Polizei. Nein, die 49-Jährige ist wissenschaftliche Angestellte am Institut für Kriminalistik und Kriminologie.

Milena wird von ihrem Freund, Sinisa Stojkovi, beauftragt, Nachforschungen anzustellen. Denn Sinisa ist Anwalt von beiden Familien der gestorbenen Soldaten, die nicht glauben können, dass ihre Söhne sich umgebracht haben. Schnell wird klar, dass Milenas Ermittlungen gefährlich werden könnten für sie und ihre Familie. Denn die Spuren führen in die höchsten Kreise des Militärs, der um jeden Preis verhindern will, dass die Wahrheit ans Licht gebracht wird.

Unheimlich authentisch kommt diese Kriminalgeschichte daher. Und das bezieht sich nicht nur auf die absolut runde Darstellung der Ermittlungen. Man fühlt sich beim Lesen direkt nach Belgrad versetzt, hört förmlich das Gehupe der Autos, schmeckt den löslichen Pulverkaffee und verliert sich in den Straßen der Stadt. Und auch Milena ist eine Person, wie du und ich. Keine Superheldin, kein Star-Detektiv – sondern eine Frau und Mutter, die sich Sorgen um ihren Sohn macht, Angst hat, ihren Job zu verlieren, genervt von ihrer Mutter ist und bei Stress zu Süßigkeiten greift. Und das macht sie und damit die Geschichte so sympatisch. Ist aber auch – zugegebenermaßen – an manchen Stellen das Manko. Denn manchmal überwiegen die Sorgen um den Ex-Mann, dessen neue Freundin und die Geldsorgen Milenas etwas zu sehr, sodass die eigentliche Ermittlung an Fahrt verliert.

Und natürlich schwingt auch eine ganze Menge Historie mit. Immer wieder kommen in der Handlung auch Seitenblicke auf die politische Vergangenheit des Balkans und Serbiens vor: die unaufgearbeitete Geschichte des Jugoslawienkonflikts, Kriegsverbrechen in Bosnien und dem Kosovo und die bis heute reichenden Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien, die immer wieder aufzuflammen drohen. Aber auch die Melancholie und Identitätskrise der Stadt und ihrer Bewohner wird wunderbar eingefangen.

Entsprungen ist Milena Lukin aus der Feder von Christian Schünemann und Jelena Volić. Schünemann hat bereits eine erfolgreiche Krimi-Reihe um den Münchener Star-Frisör und Hobby-Deteltiv Tomas Prinz veröffentlicht. Volić ist Historikerin in Belgrad. Die Mischung passt also perfekt. Kennengelernt haben die beiden sich vor über 25 Jahren in einem Russischkurs und beschlossen früh, dass sie gemeinsam ein Buch schreiben müssen. Zum Glück für uns! Da die beiden so diesen kurzweiligen Krimi geschrieben haben, dessen heimliche Hauptfigur Belgrad ist und deren spröde Ermittlerin einem unheimlich schnell ans Herz wächst. Übrigens hatte ich Anfang des Jahres das Glück, die beiden Autoren in Leipzig zu treffen und kurz mit Christian Schünemann zu plauschen. Mehr dazu könnt ihr hier nachlesen: Klick!

 

Vielen Dank an Diogenes für das Rezensionsexemplar!

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