Ralph Ellison: Der unsichtbare Mann

Wer Die Bücher von Toni Morrison und James Baldwin mag, der sollte unbedingt auch Ralph Ellison zur Hand nehmen. Sein Roman Der unsichtbare Mann zählt laut dem Time Magazine zu den besten 100 englischsprachigen Romanen zwischen 1923 und 2005. Es erschient erstmals 1952. Außerdem wurde das Buch mit dem National Book Award ausgezeichnet.

Der namenlose Protagonist von Ralph Ellisons Roman sitzt in einem mit 1369 Glühlampen bestückten Kellerloch. Der Raum ist hell erleuchtet – und dennoch kann ihn niemand sehen. Aber seine Unsichtbarkeit ist nichts physischer Natur, sondern sozialer. Als Schwarzer im Amerika der Nachkriegszeit wird er von seinen Mitmenschen nicht wahrgenommen. – Ein Thema das vor der Kulisse von #blacklivesmatter heute immer noch brandaktuell ist. Nun versucht er, sein Leben retrospektive zu beleuchten und nimmt den Leser mit auf dieser Reise.

Ein Unsichtbarer gegen den Rest der Welt

Denn sein Leben startete eigentlich recht hoffnungsvoll: Weil er ein schlauer Kopf ist, darf er an einem College studieren. Doch weil er eines Tages in Vorfälle verwickelt wird, die dem Schuldirektor missfallen, wird er der Uni verwiesen. Der Rektor schickt ihn nach New York mit einigen Empfehlungsschreiben, die – wie sich später rausstellt – ihn in keinem guten Licht dastehen lassen.

Der Protagonist findet aber dennoch eine Anstellung in einer Farbenfabrik. Dort wiederum fürchtet sein Vorgesetzter die Konkurrenz, lockt ihn in eine Falle, bei der er die Heizung zum Explodieren bringt. Und so stolpert der Unbekannte immer weiter von einem Missgeschick und Unglück zum nächsten.

Wie wir aus dem Prolog bereits wissen, steigt der Protagonist von Ellison zuletzt aus der Gesellschaft aus. In dieser weißen Gesellschaft ist er unsichtbar. Sein ganzes Leben ist eine Bestätigung dessen, dass er sowohl seine eigene Bestimmung und Identität nicht gefunden hat. Aber auch davon, dass er von allen Personen, die ihm auf seinem Weg begegnen nur benutzt, gegängelt und instrumentalisiert wird. Die anderen sind immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Er selbst stolperte als junger, naiver Idealist, der an das Gute in seinen Mitmenschen glaubte, konnte das Gegenteil immer erst erkennen, wenn es zu spät war.

Diese Erkenntnis bringt ihn dazu, aus dem Leben auszutreten. Er will nicht länger nur die Rolle spielen, die andere auf ihn projektieren. Doch die Gesellschaft lässt ihm keine wirklich andere Wahl. Denn als Schwarzer in einem weißen Amerika begegnen ihm nur Unterdrückung und Ablehnung. Nach jeder neuen Episode, jedem erneuten Scheitern muss der Protagonist lernen, dass er wieder den falschen vertraut hat, dass er nur benutzt und betrogen wurde.

Diskriminierung und Suche nach der eigenen Identität

Der Roman zeigt demnach nicht nur  die Diskriminierung, die der Protagonist und alle Schwarzen in Amerika ausgesetzt sind. Sondern er schildert auch die Schwierigkeit der Moderne: Wir soll man seinen eigenen Weg im Leben und seine eigene Identität in der Welt finden, wenn die Spielkarten bereits vorab verteilt wurden?

Der Roman von Ralph Ellison war wirklich ein sehr besonderes Leseerlebnis. Ich fühlte mich absolut in dieses Kellerloch des Protagonisten herabgezogen. Obwohl ich ihn manchmal auch gern etwas schütteln wollte. Bei einigen Episoden konnte man ihn schon sehr direkt ins Messer laufen und war unfähig ihn vor dem Unheil zu bewahren.

Ralph Ellison schildert diese Erlebnisse aber ganz nüchtern und unsentimental. Kein Jammern kommt über die Lippen des Unsichtbaren. Wir werden einfach konfrontiert mit den harten Tatsachen der Welt und ihren Ungerechtigkeiten. Dem naiven, suchenden Protagonisten stehen zahlreiche egoistische, harte Figuren gegenüber, mit denen wir uns gemeinsam konfrontiert sehen mit dem Namenlosen. Aber das ist es, was Ellison hervorrufen will. Es ist keine Trauerrede, kein Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit. Stattdessen führt er sie uns direkt vor Augen: gnadenlos, burlesk, mit bösem Witz und voller menschlicher Grausamkeit.

Und damit trifft der Roman auch heute noch den Nagel auf den Kopf. Würde man die Kulissen etwas anpassen, könnte die Geschichte auch in der heutigen Gesellschaft stattfinden können. Damit hat Ellison ein zeitloses Meisterwerk geschrieben, dass ich euch allen wirklich nur ans Herz legen kann.

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