Fjodor M. Dostojewski: Aufzeichnungen aus dem Untergrund

Fjodor Dostojewski zählt zu den bekanntesten Schriftstellern weltweit. An dem russische Literat geht wohl kaum ein Weg vorbei, wenn man sich mit Büchern beschäftigt. Zu seinen Werken zählen Klassiker wie „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“ oder „Die Brüder Karamasow“. Heute wollen wir euch aber einen kürzeren und dennoch nicht weniger bekannten Roman von Dostojewski vorstellen – nämlich seine „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“. Das Buch gilt als erster existentialistischer Roman.

Die „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ sind in zwei Teile gegliedert. Der erste ist dabei eher essayistisch, darin stellt sich der namenlose Protagonist vor, gibt Einblicke in sein Weltbild und Denken sowie philosophische Gedanken.

Anti-Held als Protagonist

Dabei wird ziemlich schnell deutlich, dass es sich um keinen Sympathischen Charakter handelt. Eigentlich stellt der Protagonist das gleich in den ersten Sätzen klar:

Ich bin ein kranker Mensch… Ich bin ein zorniger Mensch. Ein hässlicher Mensch bin ich.

Der Protagonist ist ein 40jähriger ehemaliger Beamter, der den Dienst quittiert hat und nun im „Untergrund“ lebt. Was das genau bedeutet, versucht die Übersetzerin im Nachwort zu erklären. Oft wird das Russische in „Kellerloch“ übersetzt. Eigentlich handelt es sich eher um ein Untergeschoss oder einen „Raum unter dem Fußboden“, ein Versteck im verborgenen, das auch eine leicht illegale Konnotation hat.

Im Fokus dieses ersten Teils ist eine sarkastische Analyse des modernen Menschen und der modernen Welt, die er zynisch und verbittert kommentiert. Erst im zweiten Teil von Dostojewskis Roman kommt es zu den eigentlichen „Aufzeichnungen“ des Protagonisten.

Hier berichtet er von Episoden aus seinem Leben, von seinem beruflichen Scheitern, von seinen früheren zwischenmenschlichen Beziehungen. Dabei geht es u.a. um seine alten Schulfreunde, die im Gegensatz zu ihm alle eine steile Karriere hingelegt haben. Obwohl er darunter leidet, dass sie ihn abschätzig behandeln, ist er selbst nicht besser. So gaukelt er zum Beispiel einer Prostituierten vor, sie aus dem Milieu zu retten, nur um sie dann doch wieder fallen zu lassen. Und auch seinen Angestellten behandelt er sehr herablassend, obwohl er sich von diesem doch auch irgendwie beobachtet, kritisiert und unter Druck gesetzt fühlt.

Ich glaube, es wird schnell deutlich: Ein sympathischer Kerl ist dieser Protagonist bei weitem nicht. Der Buchdeckel beschreibt ihn als Prototyp des Wutbürgers. Einer, der denkt er sei zu kurz gekommen und der immer etwas zu meckern hat.

Wer also spannende Handlungsstränge mit unterschiedlichen Twists und Wendungen sucht, ist bei den Aufzeichnungen aus dem Untergrund an der falschen Adresse. Es ist vielmehr eine Charakterstudie. Der Einblick ins Innere des Menschen. Eine psychologische Analyse des Protagonisten.

Einblicke in die menschliche Seele

Dafür führt uns Dostojewski in die Tiefen der menschlichen Seele. Nicht nur in den Abgrund des Hauses, sondern den Tiefen dieses unleidigen Protagonisten. Wir tauchen ein in die Abgründe dieses Menschen, der nicht nur die Gesellschaft, sondern auch sich selbst hasst. Ein Mensch, der einfach unfassbar unglücklich ist mit seinem Leben, aber keinen Ausweg aus dieser Situation findet. Unfähig, sich selbst und seine Mitmenschen zu lieben:

Denn das Schreiben langer Erzählungen darüber, wie ich mein Leben verpfuscht habe durch moralische Verkommenheit in meinem Winkel, durch das Fehlen von Gesellschaft in meinem Untergrund, durch Entwöhnung vom Lebendigen und durch eitle Bosheit, ist weiß Gott nicht von Interesse.

Es ist uns ja sogar eine Last, ein Mensch zu sein – ein Mensch von echtem Fleisch und Blut; wir schämen uns dessen, halten es für Schande und streben danach, ein Verfechter allgemeinmenschlicher Werte zu sein, wie es ihn noch nie gab. Wir sind Totgeburten, ja, und wir werden seit Langem ja schon nicht mehr von lebendigen Vätern gezeugt, und dies gefällt uns immer besser. Wir kommen auf den Geschmack. Bald werden wir uns ausdenken, aus irgendwelchen Ideen geboren zu werden.

Dostojewskis “Aufzeichnungen aus dem Untergrund” kommt als schmales Büchlein daher. Aber die Schilderungen sind intensiv und kraftvoll. Wer sich für menschliche Abgründe und einen Einblick in die Tiefe der Seele des Menschen begeistern kann, der sollte dieses Buch unbedingt lesen. Gerade für Einsteiger in Dostojewskis Welt kann ich diese Novelle empfehlen. Ich selbst habe damals als ersten „Der Idiot“ gelesen, der einen mit seinen 1000 Seiten doch erschlagen kann. Da sind die “Aufzeichnungen aus dem Untergrund” ein kurzer, aber dennoch sehr beeindruckender erster Eindruck in das Werk des russischen Autors, bei dem man schon einmal in sein Denken abtauchen kann.

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