In der heutigen Welt sind wir ständig dazu aufgefordert, zu funktionieren. Immer mehr Leistung zu bringen. Das Streben nach dem großen Geld bestimmt unseren Alltag. Die Gespräche drehen sich oft nur noch um „mein Haus, mein Auto, mein Pferd“. Sollte man nicht aufhören, sich zu vergleichen und lieber schauen, was einen selber glücklich macht? Genau darum geht es auch im Roman „Auf Messer Schneide“ von Kult-Autor W. Somerset Maugham.
Chicago kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs. W. Somerset Maugham schlüpft in die Rolle des Ich-Erzählers und schildert, wie er auf einer Lesereise durch die USA das junge Paar Isabel und Larry kennenlernt. Beide stammen aus gutem Hause, sind seit Kindertagen befreundet und inzwischen verlobt. Das Problem: Larry ist zwar finanziell unabhängig, aber will einfach keinen Job annehmen. Seit seiner Rückkehr aus dem Krieg hat er zahlreiche Angebote ausgeschlagen. Stattdessen gibt er sich dem Müßiggang hin. Ein Skandal! Vor allem in den Augen von Isabels Onkel Elliot, einem klassischen Snob, der sich vor allem durch seinen gesellschaftlichen Status, sein Geld und zahlreiche Einladungen auf Bälle profiliert.
Müßiggang vs. High Society
Larry dagegen ist Kriegsheimkehrer. Er musste mit ansehen, wie zahlreiche Menschen sterben – u.a. sein bester Kamerad, der getötet wurde als er versuchte, Larry das Leben zu rettet. Kein Wunder, dass der junge Mann verändert nach Hause kommt. Partys, Mode und Alkohol interessieren ihn nicht mehr. Stattdessen widmet er sich nun alten Sprachen und philosophischer Literatur. Aus diesem Grund möchte er nicht arbeiten, sondern die Welt bereisen und noch mehr Wissen sammeln.
„Ich möchte mir klar darüber werden, ob es einen Gott gibt oder nicht. Ich möchte herauskriegen, warum es das Böse gibt. Ich möchte wissen, ob ich eine unsterbliche Seele habe oder ob mit meinem Tod alles zu Ende ist.“„ […]
Ja, aber Larry“, sagte sie lächeln, „die Menschen haben solche Fragen seit Tausenden von Jahren gestellt. Wenn man sie beantworten könnte, dann wären sie bestimmt schon beantwortet.“
W. Somerset Maugham: Auf Messers Schneide
Isabel und ihre Familie sind natürlich empört. Die Verlobung wird gelöst und das Mädchen heiratet einen reichen Geschäftsmann. Sie scheint das – nach ihren Vorstellungen – perfekte Leben zu bekommen. Über die Jahre hinweg begegnet Maugham den Personen immer wieder an anderen Orten, sei es Paris oder die Cote d’Azur. Und so erfahren wir als Leser, wie es Larry nach zwei Jahren Studium in Paris ergangen ist oder dass er eine längere Reise nach Indien plant. Isabel dagegen ist inzwischen Mutter geworden, die Familie wird von der Finanzkrise erschüttert und in ihrem Herzen sehnt sie sich doch immer noch nach einem Leben mit Larry.
W. Somerset Maugham als geschickter Strippenzieher
Maugham ist ein faszinierender Erzähler, der seine Geschichte geschickt konstruiert hat. Bis zur letzten Seite hält er den Leser gebannt, ob und wie die Figuren doch noch zusammen finden und wie sich ihr Schicksal entfaltet. Natürlich stehen sich Larry und Onkel Elliot als krasse Gegensätze gegenüber. Vor allem Elliot hat für mich mit seiner Schrulligkeit immer wieder den Vogel abgeschossen. Selbst auf dem Sterbebett regt er sich noch darüber auf, dass er zu einem Ball nicht eingeladen wurde. Und sein Tod zeigt, wie schnell einen die oberflächliche Gesellschaft auch wieder vergessen kann.
Dabei ist aber keine der Figuren von W. Somerset Maugham zu klischeehaft gezeichnet. Liebevoll und greifbar sind sie. Alle haben ihre guten und schlechten Seiten und als Leser kann man gut nachvollziehen, wie ihr Handeln motiviert ist. So hat Maugham einen zeitlose Roman mit Tiefgang und Humor geschaffen, der sich auch heute noch wundervoll liest.