Maya Angelou gilt als Ikone der afroamerikanischen Literatur und ist ein wahres Multitalent. Sie war Tänzerin, Calypso-Sängerin, alleinerziehende Mutter, Bügerrechtlerin, Vertraute von Martin Luther King Jr. Und Malcom X, Künstlerin, Journalistin, Autorin und die erste schwarze Straßenbahnschaffnerin von San Francisco. Zu den Fans von Maya Angelou zählen unter anderem Oprah, Obama und James Baldwin – deren lobende Worte auch auf dem Klappentext von Angelous Buch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel sing“ abgedruckt sind. Da sieht man schon, in welcher Liga die Autorin spielt.
„Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ erschien 1969 das erste Mal und kann als literarische Autobiographie von Maya Angelou gelesen werden. Denn die Autorin schildert darin die Erlebnisse ihrer Kindheit in den USA in den 1930iger Jahren: Marguerite und ihr Bruder Bailey Jr. werden im Alter von 3 und 4 nach der Scheidung ihrer Eltern in den kleinen Ort namens Stamps, Arkansas zu ihrer Großmutter geschickt. Dort wachsen die beiden Kinder umgeben von Baumwollplantagen auf. Zentrum ihres Lebens ist der kleine Laden, den die Familie führt, und durch den sie in Kontakt mit der gesamten Gemeinde kommen.
Maya Angelous literarische Autobiografie
Wir begleiten Angelou und ihren Bruder Bailey dabei, wie sie in diesem Umfeld langsam heranwachsen. Wie sie durch ihre strenge Großmutter gottesfürchtig erzogen werden. Aber natürlich auch, wie sie bereits als Kinder ganz bewusst den Rassismus der Menschen im Süden erfahren. Denn schon als Kind wird Angelou durch die Gesellschaft eingetrichtert, wo sie zu stehen hat:
Schwarz zu sein, nicht über das eigene Leben bestimmen zu können, war schrecklich Jung zu sein, aber schon gewohnt, die Vorurteile über die eigene Hautfarbe still und widerspruchslos anzuhören, war brutal. Besser, wir wären alle tot.
Die ungeschönten Schilderungen fangen an bei der respektlosen Anrede sogar durch die „White Trash Nachbarskinder“, über die verweigerte Behandlung des Zahnarztes im Ort bis hin zur Gefahr durch den Ku-Klux-Klan. Durch die naiv-unschuldigen Kinderaugen kommt einen dieser Rassismus noch krasser vor. Denn schon in diesem jungen Alter sind sich Angelou und ihr Bruder der Aussichtslosigkeit ihrer Situation bewusst.
Onkel Willie, warum hassen sie uns so?
Onkel Willie sagte: „Sie hassen uns nicht richtig. Sie kennen uns nicht, wie sollen sie uns hassen? Sie haben vor allem Angst.“
Doch statt sich unterkriegen zu lassen, scheint die zunächst noch unsichere, schüchterne und naive Maya Angelou sich durch das Leben durchzuboxen. Selbst als der Lebensgefährte ihrer Mutter sie vergewaltigt, gibt das Mädchen nicht auf. Auch eine kurze Phase in der Obdachlosigkeit kriegt sie nicht unter. Aus der Aussichtslosigkeit wird Empowerment! Maya übernimmt die Verantwortung für ihr Schicksal und kämpft sich durch. Sie wird zweitbeste Schülerin in der Abschlussklasse und boxt sich sogar durch, die erste schwarze Straßenbahnschaffnerin in San Francisco zu werden.
Angelous Lebensschilderungen machen einen ziemlich betroffen. Welche Schicksalsschläge so ein junger Mensch erleben musste ist schon krass. Noch krasser ist, dass viele dieser Probleme auch heute – 50 Jahre später – immer noch an der Tagesordnung sind. So reiht sich Maya Angelou für mich direkt an James Baldwin, dessen Bücher ja derzeit auch neu herausgegeben werden und ebenfalls noch brandaktuell sind.
#blacklivesmatter und #stopasianhate
Interessant fand ich in diesem Kontext auch die kurze Episode über die Internierung der japanischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. Hier wird auch gezeigt, dass die Menschen es einfach ignoriert, dass eine komplette Bevölkerungsschicht aus ihrem Stadtviertel entfernt wird. Passt auch gut zu der heutigen Diskussion rund um #StopAsianHate.
Einfühlsam, bedrückend, intensiv. Zum Teil beängstigend und schonungslos ehrlich. So kommt Maya Angelous Geschichte daher. Wie sagt man so schön: Betrunkene und Kinder sprechen die Wahrheit. Und so wirkt es auch hier, dass die kleine Maya mit ihren zum Teil doch noch kindlich-naiven Schilderungen dennoch den Nagel auf den Kopf trifft. Langsam begleiten wir das Kind dabei, beobachten sie dabei, wie sie ihre Stimme in der Welt finde. Sowohl literarisch betrachtet, also auch in ihrem wahren Leben. Wie sie sich als schwarze Frau in einer weißen Welt voll Unterdrückung behauptet. Und für ihre eignen Ziele, aber auch für die der People of Color einsteht.
Leider ist die Geschichte dann aber doch sehr überraschend zu Ende. Das ist wahrscheinlich der einzige Mangel, den ich an Angelous Buch finden kann. Gerade an einem Punkt, wo man denkt: Jetzt geht es erst richtig los. Doch dann bricht die Erzählung ab. Maya Angelou ist vom Kind zu einer erwachsenen Frau geworden, hat nun selber ein Baby. Vielleicht war das für die Autorin der passende Abschluss. Aber mich hätte es interessiert, wie es ihr mit dieser neuen Lebenssituation ergangen ist. Doch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ ist wohl nur der erste Band einer fünfteiligen Reihe über das Leben von Maya Angelou – also muss ich mich wohl zeitnah nach der Fortsetzung umsehen.