Middlemarch wurde 1871 veröffentlicht und zählt als das Hauptwerk von George Eliot. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die englische Schriftstellerin Mary Anne Evans. Sie zählt zu einer der bedeutendsten englischen Autorinnen, als frühe Feministin und Middlemarch gilt bei vielen Kritikern als einer der wichtigsten Romane aller Zeiten.
Die Geschichte spielt in der fiktiven Kleinstadt Middlemarch in der englischen Provinz und schildert das Leben der Menschen dort. Eliot schildert das Leben der Bewohner in all ihren Facetten. So gibt es in Middlemarch Adelige, Angestellte, Arme und alle haben ihre Probleme.
Dorothea Brooke und Tertius Lydgate
Im Zentrum des Romans stehen vor allem zwei Personen: die junge und verwaiste Dorothea Brooke. Sie hat ein gutes Herz, ist sehr religiös und etwas naiv, strebt aber dennoch danach Wissen zu erlangen, dass den Frauen damals verwehrt war. Sie verliebt sich in den unattraktiven, ältlichen Gelehrten Mr. Casaubon. Ganz Middlemarch ist schockiert über die Wahl der jungen Frau, auch wenn die Verbindung standesgerecht ist. Aber Dorothea hat die Hoffnung über die Vater-Figur und durch seine Berufung doch noch an das ihr verwehrte Wissen zu gelangen.
Dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, wird schnell klar. Denn Casaubon will seine Frau kleinhalten, sie nicht an seinem Wissen teilhaben lassen und ist unheimlich eifersüchtig. Besonders als er merkt, dass sein attraktiver Neffe Will Ladislaw sich mit seiner Frau anfreundet.
Dorotheas Schwester Celia hingegen heiratet den jungen, aufstrebenden Adeligen Sir James Chettam, der sich zunächst um Dorotheas Gunst bemühte. Doch für beide ist der „Ersatz“ kein Problem, da sie so beide eine günstige Verbindung eingehen. Denn Celia ist im Gegensatz zu ihrer Schwester sehr pragmatisch. Sie hat für sich ein gutes Heim gefunden und ist abgesichert. Trotzdem weiß sie, ihre Mittel als Frau einzusetzen, um ihren Willen zu erhalten:
Warum kannst du es dann nicht als deine Pflicht ansehen, dich ein bisschen den Wünschen von James zu beugen?“, fragte Celia […] „Er will nämlich nur dein Gutes. Und natürlich wissen Männer alles am besten, außer den Dingen, die die Frauen besser wissen.“
Middlemarch, George Eliot
Ein weiterer Protagonist in Middlemarch ist der junge Arzt Tertius Lydgate. Er zieht neu in das Städtchen, muss lernen sich in das System der Gesellschaft auf dem Lande einzufügen. Vor allem mit seinen modernen medizinischen Methoden eckt er dort oft an. Er gerät schnell auf das Radar von Rosamund Vincy, der Tochter eines gutsituierten Fabrikanten, die auf eine gute Partie hofft. Doch auch ihre Ehe ist zahlreichen Krisen ausgesetzt.
Last but not least verfolgen wir das Schicksal von Mary Garth. Sie muss im Gegensatz zu den anderen Frauenfiguren ihren Unterhalt selbst bestreiten. Sie ist verliebt in Rosamunds Bruder Fred, den sie seit Kindertagen kennt. Doch Fred lebt über seine Verhältnisse, fällt durch sein Examen und leiht sich auch noch von Marys Familie Geld, das er nicht zurückzahlt.
Alle Geschichten dieser Figuren sind in dem über 1000 Seiten starken Buch miteinander verbunden. Man muss beim Lesen also geduldig sein und gemeinsam mit dem Erzähler die einzelnen Fäden des Beziehungsgeflechts des Städtchens miteinander verknüpfen:
bestimmte Schicksale zu entwirren und zu sehen, wie sie gewoben und ineinander verwoben sind, dass ich alles Licht, über das ich verfüge, auf dieses spezielle Gewebe konzentrieren muss und nicht über jene verlockende Fülle von Bedeutsamkeiten verstreuen darf, die man das Universum nennt
Middlemarch, George Eliot
So zeichnet George Eliot in Middlemarch ein deutliches Bild über das Leben in der Englischen Provinz im 19. Jahrhundert. Verschiedene Gesellschaftsschichten und Persönlichkeiten werden hier abgebildet. Spannend ist dabei vor allem der Fokus von Eliot auf die weiblichen Charaktere. Diese werden nicht nur als positiv oder Frauen in Not geschildert. Stattdessen zeigt Eliot, das Frauen ganz unterschiedlich motiviert sind, dass sie sich teilweise viel zu sehr in das geltende System eingefügt haben, aber auch, wie sie versuchen, daraus auszubrechen.
Middlemarch – Ländliches Leben in England im 19 Jahrhundert
Ähnliches lässt sich auch an der Figur des Arztes Lydgate beobachten. An ihm zeigt sich nicht nur George Eliots Interesse an der modernen Medizin, sondern auch die Schwierigkeiten und die Skepsis, die solche neuen Ideen, Theorien und Methode in einer kleinbürgerlichen Stadt hervorrufen. Er ist konfrontiert mit Engstirnigkeit oder altmodischen Ansichten, die nicht nachvollziehbar sind.
Durch die Gegenüberstellung und Verknüpfung ihrer Figuren zeichnet George Eliot ihre Meinung über das Leben in der ländlichen Kleinstadt deutlich ab und beschreibt die Vorstellungen der englischen Klassengesellschaft. Natürlich ist die Sprache zum Teil etwas altmodisch – aber Middlemarch ist nun mal ein historischer Klassiker. Da muss man auf so einen Schreibstil gefasst sein.
Für mich zählte das Buch aber zu einem meiner bisherigen Lese-Highlights von 2021. Wer sich einmal an die über 1000 Seiten herantraut, wird es nicht bereuen. Ich habe schnell mit den Charakteren mit gefiebert. Wobei mir vor allem Dorothea und Mary ans Herz gewachsen sind. Hervorheben möchte ich letztendlich noch das wunderschöne der Cover von der neuen Ausgaben aus dem dtv Verlag.