Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Amos Oz, der eigentlich als Amos Klausner geboren wurde, zählt zu den bekanntesten israelischen Schriftstellern. Zeit seines Lebens hat Oz zahlreiche Romane, Erzählungen und Essays verfasst. Dabei steht in viele seiner Werke das Leben in Israel, vor allem im Kibbuz mit seinen sozialen und familiären Konflikten im Mittelpunkt. Eines von Oz bekanntesten Büchern ist „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, das 2004 erstmals auf Deutsch erschien.

In dem Buch schildert Oz eindrücklich die Geschichte seiner Familie: Wie seine Großeltern und Eltern vor dem Holocaust flüchten mussten. Welche Verwandten sich leider nicht retten konnten. Wie die Familie Klaußner sich in Jerusalem einlebt und von die Gründung des Staates Israel vor miterlebt. Durch die Schilderungen seines Lebens und seiner Kindheitserinnerungen schafft Oz es, der Geschichte verschiedene Erzähllevel zu geben: zum einen, die ganz persönlichen Schicksalsschläge und Erlebnisse der Familie. Zum andern ist es eine Schilderung der jüdischen und israelischen Geschichte, beginnend bei der Verfolgung der Juden in Ost-Europa, über den Holocaust bis hin zum Leben in Israel mit all seinen Hindernissen, Bräuchen und Gegebenheiten. Und letztlich die innere Perspektive von Amos Oz selbst. Wie er diese Entwicklungen wahrnimmt und wie er die Ehe seiner Eltern beobachtet, das tragische Schicksal seiner Mutter, die sich das Leben nimmt, als Oz gerade einmal 13 Jahre alt ist, bis hin zum Tod seines Vater Jahre später.

Leser vs. Autor

Eines macht Oz seinen Lesern dabei allerdings früh klar. Ja, es ist ein sehr autobiografischer Roman. Aber es geht ihm dabei nicht darum, Klatsch und Tratsch zu verbreiten. Familiengeheimnisse zu lüften. Sich quasi vor seinen Lesern „nackt“ zu machen und sie an allen persönlichen und intimen Momenten und Gedanken seines Lebens teilnehmen zu lassen. Das ist ganz deutlich nicht die Absicht des Autors:

Alles ist autobiografisch: Wenn ich einmal eine Geschichte über eine Liebesaffäre zwischen Mutter Teresa und Abba Eban schreiben sollte, wäre das bestimmt eine autobiografische Geschichte – wenn auch kein Bekenntnis. Jede Geschichte, die ich geschrieben habe, war autobiografisch, keine ein Bekenntnis. Der schlechte Leser will immer wissen, und zwar auf der Stelle: Was ist in Wirklichkeit geschehen? Was ist die Geschichte hinter der Geschichte, was läuft hier ab, wer gegen wen, wer hat es eigentlich mit wem getrieben? […] Den Klatsch wollen sie. Durchs Schlüsselloch spähen. Die möchten erfahren, was wirklich in deinem Leben passiert ist, nicht das, was du hinterher in deinen Büchern darüber geschrieben hast.

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Vielmehr geht es darum, was der Leser selbst aus dieser Geschichte herauszieht. Was ihn bewegt. Was er dadurch lernt und mitnimmt:

Wer den Kern der Geschichte im Verhältnis zwischen Werk und Autor sucht, der irrt: Man sollte ihn nicht im Verhältnis zwischen dem Text und seinem Verfasser suchen, sondern in dem zwischen Text und Leser.

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Das macht Amos Oz ganz deutlich, bevor er uns in mit in die quirligen, engen Gassen von Jerusalem und in die seine Kindheitserinnerungen mitnimmt.  Beeindruckend war für mich unter anderem, in was für einem unheimlich intellektuellen Umfeld Amos Oz aufwuchs. Gefühlt alle Verwandten sind Professoren, Schriftsteller, Bibliothekare. Oz‘ Eltern verkehrten mit den größten Autoren der damaligen Zeit in Jerusalem. Das ist einerseits sicher unheimlich faszinierend. Aber bildet auch einen großen Druck. Den wohl auch sein Vater und seine Mutter stark spürten.

Amos Oz – der Mann, der ein Buch sein wollte

Ebenfalls früh im Buch benutzt Oz folgendes Statement:

Als kleiner Junge wollte ich, wenn ich einmal groß wäre, ein Buch werden. Nicht Schriftsteller, sondern ein Buch: Menschen kann man wie Ameisen töten. Auch Schriftsteller umzubringen ist nicht schwer. Aber Bücher – selbst wenn man versuchte, sie systematisch zu vernichten, bestand immer die Chance, daß irgendein Exemplar überlebte und sich weiterhin eines Regallebens in einer Ecke einer abgelegenen Bibliothek erfreute, in Reykjavik, in Valladolid oder in Vancouver.

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Und sofort wusste ich, dass ich dieses Buch lieben würde. Weil es ein Mensch geschrieben hat, der am liebsten ein Buch wäre. Diese Aussage fand ich unheimlich faszinierend. Vor allem von einem kleinen Kind. Für mich schwingt dabei aber nicht nur die Traurigkeit mit, diese Angst vor dem Tod und der Vernichtung – die natürlich für einen jüdischen Jungen der damaligen Zeit unheimlich greifbar war. Aber auch, dass Bücher in seiner Familie einen so großen Stellenwert hatten. Wenn er ein Buch wäre, hätte der kleine Amos vielleicht auch eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit von seine Eltern erhalten. Denn selbst als Erwachsener und Autor bekam Amos Oz‘ wohl von seinem Vater nur Verbesserungsvorschläge und nie direktes Lob für seine Romane.

Zwischen Liebe und Finsternis

Ich will damit gar nicht zu negativ über das Verhältnis zwischen Amos Oz und seinen Eltern richten. Aber – und so lautet ja auch schon der Titel – Liebe und Finsternis liegen oft eng beisammen. Und so sind es eben auch die disfunktionalen Momente zwischen den Figuren des Romans, die ihr Leben ausmachten. Die nicht wirklich gut funktionierende Ehe der Eltern. Der Vater, der nie seinen gewünschten Job erhielt. Die Mutter, die leider nie mit dem Schreiben anfing und deren Depressionen nicht geheilt werden konnten.

An allumfassende Liebe glaube ich nicht so recht. Daß jeder jeden liebt, das überlassen wir vielleicht besser Jesus. Liebe ist etwas ganz anderes. […] Liebe ist eine sonderbare Mischung aus zwei Gegensätzen, aus egoistischem Egoismus und vollkommener Hingabe. Ein Paradox! Außerdem, Liebe, die ganze Welt spricht von Liebe, Liebe, aber die Liebe wählt man sich ja nicht, man wird davon angesteckt, gerät in ihre Fänge, sie kommt über einen wie eine Krankheit, wie ein Unglück. Zwischen was hat man sich also zu entscheiden. Zwischen was und was müssen Menschen fast jede Minute wählen? Entweder Großzügigkeit – oder Bosheit. Das weiß doch schon jedes kleine Kind, und trotzdem hört die Bosheit nicht auf. Wie läßt sich das erklären?

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Hier merkt man auch gleich, dass Amos Oz es trotz der doch oft sehr traurigen oder schweren Themen es schafft, seinen ganz eigenen Humor in die Geschichte einfließen zu lassen. Hinzu kommt seine wundervolle Sprache, die sich ganz leicht und wundervoll lesen lässt und den Leser in seinen Bann zieht. Für mich war es das erste Buch von Oz. Und ich bin wirklich sehr begeistert gewesen. Ja, es hatte an manchen Stellen ein paar Längen. Und gerade zu Beginn kam ich etwas durcheinander mit den vielen Familienmitgliedern, die man mit ihren ganzen Schicksalen kennenlernt. Doch trotz seiner Dicke habe ich den Roman schnell verschlungen, weil ich einfach gerne in die Sprache und Welt von Oz abgetaucht bin.

Gleichzeitig fand ich es spannend, seine Schilderungen über die Gründung Israels zu lesen. Im Nachhinein muss ich mich wirklich noch mehr informieren, wie diese ja doch sehr historisch wichtige Moment vonstattenging. Das steht definitiv jetzt auf meiner To-Do-Liste. Ich bin aber auch froh, dass Oz den Konflikt mit Palästina aus seiner definitiv voreingenommenen, jüdischen Sicht, doch recht ausgeglichen formuliert. Ich habe auch gelesen, dass sogar ein palästinensischer Anwalt namens Elias Khoury die Kosten für die arabische Übersetzung des Buches übernommen hat, nachdem sein Sohn 2004 Opfer eines Anschlags von Palästinensern wurde, die ihn für einen Juden hielten.

Alles in allem ist „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ eine intensive und feinfühlige Autobiografie eines Menschen, aber auch eines Staates. Und es ist ein Buch über die Liebe zu Büchern. Von einem Autor, der am liebsten ein Buch werden wollte.

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