Abdulrazak Gurnah: Das versteinerte Herz

„Das versteinerte Herz“ von Abdulrazak Gurnah ist bereits das fünfte Buch, das ich von dem Literaturnobelpreisträger gelesen habe. Und für mich war es bisher das Beste! Es ist ein beeindruckendes Werk, das die Leser mit seiner einfühlsamen Darstellung von Schmerz, Isolation, Einsamkeit und Verrat in den Bann zieht.

In der Geschichte begleiten wir den jungen Salim auf seiner Reise ins Erwachsen werden und von Sansibar nach London und zurück. Salim wächst in einfachen Verhältnissen auf. Seine Eltern haben sich entfremdet. Seit er sieben ist lebt er allein mit der Mutter. Der Vater wohnt in der Nähe bei Freunden. Lange hat die Mutter und dann Salim ihm täglich das Essen gebracht. Warum die Eltern nicht mehr zusammen sind? Dieses Rätsel beschäftigt sowohl uns als auch Salim.

Irgendwann findet Salim heraus, dass seine Mutter einen anderen Liebhaber hat. Er ist ein hohes Tier in der Regierung und beschenkt die Mutter großzügig. Salim ist fassungslos. Als die Mutter dann auch noch schwanger wird und er eine kleine Schwester bekommt, rebelliert der Junge immer mehr dagegen.

„Das versteinerte Herz“ berührt mit alltäglichen Schicksalen

Salims Onkel Amir hat es inzwischen auch weit gebracht. Als er eine Anstellung als Diplomat in England erhält, bietet er an, Salim mit nach London zu nehmen und ihm dort ein Studium zu ermöglichen. Doch Salim vermisst in diesem fremden Land seine Heimat und seine Eltern. Die Familie von Onkel Amir behandelt ihn wie einen Bediensteten und als er dann noch sein Studienfach zu Literatur wechseln will, schmeißt der Onkel ihn aus dem Haus.

Abdulrazak Gurnah versteht es meisterhaft, die Gefühle seiner Charaktere zum Ausdruck zu bringen! Salim bleibt dem Leser durch seine Tiefe und Komplexität im Gedächtnis. Man steckt total drin in seinen Gedanken und Emotionen und leidet mit ihm mit.

Dabei verwendet Gurnah bei seiner Erzählstruktur zahlreiche geschriebene als auch ungeschriebene Briefe. Sie sind wie ist eine Metapher für das Gesagte und Ungesagte, sowohl im Herzen als auch laut ausgesprochen, das zwischen den Figuren steht. Jede Zeile des Buches ist wunderschön, ebenso wie das zentrale Thema des Buches, das Salims Vater ihm mitgegeben hat: „Halte dein Ohr an dein Herz“. Besonders spannend war es, bis zum Ende auf die Enthüllung von Salims Vater zu warten und dabei mit Salim mitzufühlen, wenn er mit dem Verlust von geliebten Menschen konfrontiert wird.

Auch wie sonst bei Gurnah üblich, behandelt „Das versteinerte Herz“ auch die Themen Kolonialismus, Rassismus, die Erfahrung der Einwanderung, Scham und Verrat. Diese stehen aber nicht im Hauptfokus. Vielmehr ist dieses Buch eine Art ‚Alltagsgeschichte‘. Aber dieses Simple macht die Handlung für den Leser super zugänglich und nachvollziehbar. Denn die alltäglichen Challenges können uns genauso – oder vielleicht noch mehr – fesseln, wie große Themen.

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