„Geniestreich“. „Totkomisches, totlustiges Romandebüt“. „Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene“.
Als Jonathan Safran Froers Erstlingswerk 2002 auf den Markt kam, überschlugen sich die Kritiker vor Begeisterung. Da kommt ein 24-jähriger Amerikaner daher und schreibt einen so Aufsehen erregenden Roman, dass prompt ein Hype um ihn gemacht wird, die Geschichte in über 20 Sprachen übersetzt und Froer über Nacht quasi zum neuen Literatur-Superstar wird. 2003 und 2004 wird Froer mit Preisen und Stipendien überhäuft, damit er an seinem zweiten Roman schreiben kann. Sogar einen Vorschuss von einer Millionen Dollar soll Froer für sein zweites Werk bekommen haben, eine Summe, die sonst höchstens hoch bekannten Bestsellerautoren vorbehalten ist.
Aber was macht diesen Roman denn nun zu so etwas besonderen? Zunächst einmal macht Froer sich in „Alles ist erleuchtet“selbst zu einem der Protagonisten. Er schreibt von seiner Reise in die Ukraine, wo er sich auf die Suche nach einer Frau namens Augustine machen will. Seine einzigen Spuren: ein altes Foto, der Ortsname Trachimbrod und die Geschichte, dass sein Großvater durch die Hilfe Augustines vor den Nazis flüchten konnte. Behilflich ist dem ortsunkundigen Literaten dabei Alex, ein junger, großmauliger Ukrainer in Froers Alter, der den Dolmetscher spielen soll, und dessen Großvater, angeblich blind und der Fahrer in diesem Unterfangen, und Sammy Davis jr. jr. – eine dauerfurzende Hundedame. Dieses ungewöhnliche Quartett begibt sich also auf die Suche nach der Vergangenheit der Familie Froer.
Aufgeteilt ist die Handlung dabei in drei unterschiedliche Erzählstränge. Zum einen schreibt Alex über die Suche nach Augustine, wie sie den „Helden Jon-fen“ treffen, (ja, Jon-fen – denn mit Alex‘ Englischkenntnissen ist es leider nicht ganz so weit her, wie man es bei einem Dolmetscher vermuten möchte) und schließlich eine ganz andere Familiengeschichte aufspüren, als anfänglich gedacht. Parallel zu diesen Berichten schreibt Froer die fiktive Geschichte seine Ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter Brod, die im 18. Jahrhundert im Schtetl Trachimbrod – nach dem sie benannt ist – aufwächst, und auch die Schicksale der anderen kautzig-kuriosen Dorfbewohner. Und Erzählstrang Nummer 3 sind Briefe, die Alex an Jonathan nach ihrer gemeinsamen Reise schickt. Alex resümiert und überdenkt ihre gemeinsamen Erlebnisse. Gleichzeitig kommentiert er Jonathans Roman, den er „scheinbar“ vorab zum Lesen bekommen hat und an einigen Stellen kritisiert. Mit diesem Mix schafft Froer also eine bunte Mischung aus Briefroman, fiktiver Autobiographie und Magischem Realismus, ein bisschen Road Trip, etwas Historie.
Klingt nach einer anspruchsvollen Handlung? Stimmt! Und da liegt auch genau das Problem des Buches. Es ist unheimlich ehrgeizig, kann diesen hohen Ambitionen aber nicht gerecht werden. Und das, obwohl der komplexe Text sprachlich ganz leicht zu lesen ist. Während Alex die Geschichte seiner eigenen Familiengeschichte unerwartet ganz nah kommt, verläuft sich Jonathans Suche im nichts, sodass er seine Ahnen einfach erfindet. Aber diese Vorfahrenphantasie nimmt irgendwann Übermaß und bekommt so befremdliche Züge, dass der Leser gar nichts mehr damit anzufangen weiß. Hier hätte sich Froer einen Gefallen getan, wenn er diesen Teil der Handlung etwas eingeschränkt hätte. Irgendwann zieht sich die Schtetl-Geschichte in Form einer seitenlangen Inhaltsangabe des „Buch der Begebenheiten“, dass alle Einwohner der Stadt und ihre Schicksale umfasst. Bringt es die Handlung voran? Nur wenig. Und auch Alex, der fiktive Leser der fiktiven Ahnengeschichte, kritisiert Jonathans.
Alex wiederum schreibt seine Erzählung in einem gebrochenen „Englisch“, angefangen bei Jon-fens Namen bis hin zu den merkwürdigsten Wortverdrehern, immer bemüht, seine Geschichte „wahrheitlich“ zu schildern. Anfangs schien dieses Stilmittel noch eine witzige Auflockerung der doch sehr ernsten Handlung rund um die Figur der Brod und den Schilderungen der NS-Vergangenheit. Doch nach einiger Zeit war aus diesem „Witz“ die Luft raus, ja, man möchte am liebsten den Rotstift herausnehmen und Korrekturanmerkungen an den Rand schreiben. Hinzu kommt Sammy Davis jr. jr., die, wie bereits gesagt, nicht nur ständig furzt, sondern auch Froers Reiseinformationen frisst und dem „Helden“ auch sexuell näher kommen will. Wirkt alles eher wie schlechter Slapstick. Muss das sein?
Denn die Ideen und Fragen hinter dem Roman sind nicht schlecht. Allen voran natürlich die Frage: Wo komme ich her? Der sich Jonathan, Alex und auch Brod immer wieder Stellen müssen. Aber gleichzeitig auch: Wohin bringt mich die Wahrheit, wenn ich sie herausgefunden habe. Alle drei müssen sich ihren Sehnsüchten, Ängsten und ihren Familien stellen. Schade nur, dass die unnötigen Slapstick-Einlagen und die allzu phantastische Schtetl-Geschichte den Funken nicht ganz haben überspringen lassen.
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