„Buddhas kleiner Finger“ (Originaltitel: Tschapajew und Pustota )von Viktor Pelewin ist wie ein philosophischer Fiebertraum – eine Mischung aus Geschichte, Drama, russischem Humor, Philosophie und Buddhismus, die den Leser in eine Welt des Deliriums entführt. Die Geschichte führt uns durch die Wirren der Russischen Revolution und in die Weiten eines psychiatrischen Krankenhauses der 90er Jahre, wobei sie komplexe Themen wie Identität, Wahrheit und das Wesen der Realität erforscht.
Das Buch dreht sich um den Protagonisten Pjotr Pustota, einen jungen Mann, der sich in einem psychischen Labyrinth aus Realität und Illusionen verliert. Zu Beginn flüchtet Pustota, Russisch für Leere, im Jahre 1919 nach Moskau, weil er aufgrund seiner Gedichte verfolgt wird. Der Freund den er dort trifft entpuppt sich aber als Geheimdienstler. Kurzerhand erwürgt Pjotr den Widersacher und nimmt kurzerhand dessen Identität an. Kurz darauf findet sich Pelewins Protagonist im Irrenhaus wieder. Zwar auch in Moskau, aber in der heutigen Zeit. Der Arzt diagnostiziert eine Pseudopersönlichkeitsspaltung. Da kollidieren „Holywood-Thriller, mexikanische Seifenoper und die ungefestigte russische Demokratie“.
Und so gehen wir mit Pjotr auf eine verrückte Reise durch verschiedenen Zeitebenen, Perspektiven und Realitäten. Dabei lässt Viktor Pelewin den Leser in einem ständigen Zustand der Verwirrung zurück. Doch gerade in dieser Verwirrung liegt die Essenz des Buches, denn „Buddhas kleiner Finger“ ist mehr als nur eine Geschichte – es ist eine Reflexion über die Natur der Realität und die Fragilität der menschlichen Wahrnehmung.
Pelewin nimmt und mit auf eine verrückte Karusselfahrt durch Zeit und Raum
Durch die unkonventionelle Erzählweise und die tiefgründige Thematisierung von Existenzialismus und Spiritualität gelingt es Pelewin, den Leser zum Nachdenken über die grundlegenden Fragen des Lebens anzuregen. Das Buch fordert den Leser heraus, seine eigenen Überzeugungen und Vorstellungen von Realität zu hinterfragen und führt ihn auf eine metaphysische Reise, die weit über die Grenzen der Seiten hinausreicht.
Das Buch ist zweifellos interessant und konzeptuell faszinierend, aber es ist auch repetitive in seinen philosophischen Überlegungen. Es handelt davon, wie der Hauptcharakter langsam die Wahrheit über seine Existenz und die Welt um ihn herum erkennt, und wiederholt oft dieselben Konzepte. Persönlich fand ich die Darstellung der Russischen Revolution fesselnder als die Szenen im psychiatrischen Krankenhaus.
Dem westlichen Leser fehlt dabei vielleicht einiges an kulturellem Wissen über Russland, seine Traditionen und Mythen. Im Nachwort erklärt Pelewin zum Beispiel die Figur des roten Feldkommandeurs Tschapajew. Dieser war nicht nur eine reale Person in einer Schlacht von 1919, sondern auch eine Filmfigur der Brüder Wassiljew. Später wurde der Name Sinnbild einer Witzfigur im sowjetischen Russland.
Wer ist eigentlich Tschapajew?
Bei Pelewin ist die Figur des Tschapajew eine Verkörperung von Stabilität und Weisheit, aber auch von List und Listigkeit. Er ist in der Lage, komplexe philosophische Ideen zu erklären und gleichzeitig die irrationale Natur der Welt zu akzeptieren. Durch seine Rolle als Begleiter und Ratgeber des Protagonisten Pyotr führt er ihn durch die wirren Realitäten und Traumlandschaften des Romans.
Darüber hinaus repräsentiert Tschapajew die Widersprüche und Ambivalenzen des sowjetischen Zeitalters. Er verkörpert den Geist der Revolution und den Kampf für eine bessere Zukunft, ist aber auch von menschlichen Schwächen und Irrationalität geprägt. Seine Präsenz im Roman trägt dazu bei, die politischen und philosophischen Themen zu vertiefen und dem Leser eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten zu bieten.
All diese Puzzelstücke muss man sich als verwirrter Leser erst einmal zusammensuchen und -basteln. Nachdem ich mit dem Buch fertig war, habe ich auch erst einmal einige Artikel dazu gelesen, um so recht zu begreifen, was diese wirre Irrfahrt durch die Zeit mir sagen wollte. So kann man sagen, dass mich dieser Roman nachhaltig beschäftigt hat. Aber „Buddhas kleiner Finger“ ist sicherlich keine Lektüre für Zwischendurch. Man muss schon Muße für diesen modernen Klassiker haben und sich auf die verrückte Karusselfahrt der Handlung einlassen.