In Thu Huong Duongs Roman „Bitterer Reis“ nimmt uns die junge Ich-Erzählerin Hàng mit auf eine bewegende Reise durch ihre Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in Vietnam. Der 1988 von Thu Huong Duong veröffentlichte Roman zeichnet ein einfühlsames Porträt einer Familie, die von den Wirren des Vietnamkrieges und den politischen Umwälzungen in ihrem Land geprägt ist.
Die Handlung des Romans konzentriert sich auf Hàngs Zugfahrt nach Moskau, wo sie zu ihrem kranken Onkel eilt. Auf dieser Reise werden ihre Erinnerungen an ihre Familie und ihre Heimat lebendig, während sie mit den Gegensätzen zwischen Russland und Vietnam konfrontiert wird.
Die Erzählung ist geprägt von einer tiefen Verbundenheit mit Vietnam und einer starken Kritik an den politischen und sozialen Realitäten des Landes. Durch Hàngs Erinnerungen erfahren wir von den traumatischen Ereignissen der Agrarreform und der Korrekturkampagne, die das Leben ihrer Familie für immer veränderten.
Auch die schwierige Beziehung zwischen Hàng und ihrer Mutter wird immer wieder beleuchtet. Diese fügt sich dem System und den Vorschriften des Bruders, der nach dem Tod der Eltern das Familienoberhaupt war. Für ihn opfert Hàngs Mutter alles auf, verzichtet auf Geld und Essen, nur damit es dem Bruder und dessen Familie gut geht. Eine Situation die Hàng nicht nachvollziehen kann.
Thu Huong Duong beschreibt das Leben in Vietnam mit einer beeindruckenden Detailtreue und lässt den Leser die Vorstadtsiedlung von Hanoi und ihre Welt der Kleinhändler hautnah erleben. Ihr Schreibstil ist zugleich poetisch und erschütternd, und sie vermag es, die Landschaften und Gefühle so lebendig darzustellen, dass man das Gefühl hat, selbst durch die Straßen von Vietnam zu wandeln. Ihre Worte sind wie ein eindringlicher Ruf nach Verständnis und Mitgefühl für diejenigen, die unter den Folgen von Krieg und Gewalt leiden.
Besonders beeindruckend ist Duongs Fähigkeit, die emotionale Komplexität ihrer Charaktere einzufangen. Hàngs zerrissene Beziehung zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrer Mutter und ihrem Onkel, spiegelt die inneren Konflikte wider, die viele vietnamesische Familien während dieser turbulenten Zeit durchlebten.
Das kurze Nachwort des Buches wirft außerdem ein Licht auf die Behandlung der Autorin als Dissidentin in Vietnam nach der Veröffentlichung des Romans. Es macht deutlich, wie Thu Huong Duong für ihre politischen Ansichten und ihre literarische Arbeit von der Regierung verfolgt wurde. Dadurch wird der Roman nicht nur zu einem bewegenden literarischen Werk, sondern auch zu einem wichtigen historischen Dokument, das die Erfahrungen der vietnamesischen Diaspora einfühlsam dokumentiert.
Insgesamt ist „Bitterer Reis“ ein eindringliches und ergreifendes Meisterwerk, das den Leser tief berührt und zum Nachdenken über Liebe, Verlust und Hoffnung anregt. Thu Huong Duong gelingt es, die komplexe Realität Vietnams in all ihren Facetten einzufangen und eine Geschichte zu erzählen, die lange nachhallt. Definitiv ein Buch, das man gelesen haben sollte, um die reiche kulturelle und historische Vielfalt Vietnams zu verstehen.