Nella Larsen: Seitenwechsel

 Mein Jahr 2022 startet Buch-technisch echt super! Nachdem ich vor Weihnachten etwas bei Dussmann „eskalisert“ bin und mich mit reichlich neuen Büchern eingedeckt habe, bin ich nun wieder am Weglesen des Stapels. Mit dabei war auch der Roman „Seitenwechsel“ von Nella Larsen und ich bin total happy, dass ich das Buch mitgenommen habe!

Nella Larsen schildert darin die Geschichte einer speziellen Freundschaft: Irene Redfield, aus deren Sicht wir die Ereignisse erfahren, und Clare Kendry. Beide leben im Harlem der 1920iger Jahre. Beide Frauen waren als Kinder gute Freundinnen. Dann verloren sie sich aus den Augen. Doch eines Tages begegnen sie sich durch Zufall in einer Hotelbar in Chicago wieder.

Zwei Freundinnen auf verschiedenen Seiten

Irene betritt die Bar und wird ziemlich schnell auf eine Frau mit aufmerksam, von der sie ihren Blick nicht abwenden kann. Ähnlich geht es auch der Frau, denn diese hat Angst, dass jemand ihr Geheimnis lüften könnte. Nämlich, dass eine hellhäutige Schwarze hier auf dieser Terrasse sitzt, die eigentlich für die weiße Upper Class gedacht ist.

Denn genau in die hat Clare eingeheiratet, wie Irene nach einem Moment der Erkenntnis erfährt. Während Irene weiter in Harlem lebt, hat Clare die Seite gewechselt. Sie hat einen reichen, weißen Rassisten geheiratet, der seine Frau liebevoll „Nig“ nennt, weil sie im Sommer immer so einen dunkeln Teint erhält. Und so lebt Clare in Saus und Braus der High Society:

>>Sag mir ehrlich, hast du nie daran gedacht, „die Seite zu wechseln“?<<
Irene antwortete sofort: >>Nein. Warum sollte ich?<< Und so verächtlich waren ihre Stimme und ihr Verhalten, dass Clares Gesicht errötete und ihre Augen funkelten.

Nella Larssen – Seitenwechsel

Denn Irene ist ihrer Herkunft treu geblieben. Sie engagiert sich für die Harlemer Renaissance Bewegung, organisiert Spendengalas. Denn auch sie hat es mit einem schwarzen Arzt zum Mann nicht schlecht getroffen. Ein Leben wie Clares wäre für sie nie eine Option gewesen.

Wahrscheinlich würden sie und Clare sich nie wiedersehen. […]Eigentlich waren sie sich fremd. Fremd in ihrer Lebensweise. Fremd in ihren Wünschen und ihrem Streben. Fremd sogar im Bewusstsein der Rasse. Zwischen ihnen war die Mauer genauso hoch, so breit und so fest, als wäre ein Schuss schwarzen Bluts in Clare.

Nella Larsen – Seitenwechsel

Es bleibt nicht bei diesem einen Treffen. Clare nimmt nach dem Treffen immer wieder mit Irene Kontakt auf. Kommt auf Partys in Harlem. Denn die junge Frau ist einsam in ihrem weißen Elfenbeinturm. Doch für Irene wird die ehemalige Freundin mehr und mehr ein Dorn im Auge. Sie hat eine magische Anziehungskraft, der sich niemand entziehen kann – nicht einmal Irenes Mann.

Nella Larsen lässt es zwischen den Zeilen brodeln

Auf den letzten Seiten lässt Nella Larsen es zum abrupten Showdown mit tragischem Ende kommen, das der Leser selbst interpretieren muss. Was bleibt, ist der intensive Eindruck, den diese Geschichte zurücklässt. Es ist ein eindringliches Buch zu einem immer noch brandaktuellen, aber heiklen Thema, dass immer noch in unsere Gesellschaft schwelt.

Spannend ist auch nach Nachwort von Fridtjof Küchemann, der von dem sogenannten Rhinelander-Fall berichtet, einem Prozess im Jahr 1927, bei dem ein Weißer seine Ehefrau vor Gericht gezogen hatte, weil sie ihm verschwiegen hatte, eine Person of Color zu sein. Dieser Prozess passierte zwei Jahre vor der Veröffentlichung von Nella Larsens Buch.

Zum anderen erfahren wir darin mehr über das Leben der Autorin: Ihre Mutter war eine kam als Immigrantin von Dänemark in die USA: Ihr Vater war ein Schwarzer aus Dänisch-Westindien, einer karibischen Kolonie, die 1917 an die USA verkauft wurde. Nach der Trennung der Eltern heiratete die Mutter erneut, dieses Mal einen Mann dänischer Herkunft und bekam mit ihm eine weitere Tochter. Mit einem Mal war Nella Larsen die einzige Person of Color in ihrer Familie –  und weshalb die gesamte Familie Larsen im Umfeld der skandinavischen und deutschen Aussiedler in Chicago ausgegrenzt wurde. Weshalb die Autorin sich sicherlich gut in die einsame Lebenssituation ihrer Heldin Clare einfühlen kann.

Wer keine Zeit zum Lesen des wundervollen Buches hat, kann übrigens auch die neue Verfilmung auf Netflix anschauen. Ich würde aber immer das Buch vorziehen. Denn Nella Larsen hat wirklich einen intensiven, nuancierten Schreibstil, der einen Stück für Stück darauf vorbereitet, was unter der Oberfläche zwischen den beiden Frauen brodelt. Für mich daher ein fabelhafter Auftakt für das Lesejahr 2022.

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