Der Papierpalast ist ein altes, weitläufiges Ferienhaus in den Wäldern von Cape Cod. Seit sie klein ist, fährt Elle mit ihrer Familie dorthin, um den Sommer am See zu verbringen. Inzwischen ist Elle fünfzig Jahre alt geworden und hat selbst einen Mann und Kinder. Doch die Tradition hält an. Auch ihre Jugendliebe Jonas ist in diesem Sommer wieder hier – und seine Anwesenheit wirbelt Elles Gefühlswelt mächtig durcheinander.
Aber Miranda Cowley Heller schildert keine schnöde Dreiecksbeziehung in ihrem Roman. Die Anwesenheit von Jonas holt viele vergrabene Emotionen und schmerzhafte Erinnerungen in Elle hervor.
»Dieses Haus, aus Papier gebaut, ist zu etwas Festem geworden, das der Zeit standhält. Dieses Haus, dieser Ort: alle meine Geheimnisse sind hier.«
Miranda Cowley Heller: Der Papierpalast
Geschickte webt Heller ihre Storyline in verschiedenen Ebenen. Wir haben einmal den Handlungsstrang der Gegenwart, in dem Elle wieder auf Jonas trifft und mit ihrer Ehe hadert. Innerhalb von 24 Stunden muss sie sich entscheiden: Bleibt sie bei ihrem Mann und den drei Kindern? Oder folgt sie ihrer großen Jugendliebe?
Durchbrochen wird diese Handlung im Papierpalast immer wieder durch Episoden aus der Vergangenheit. Angefangen bei der Großmutter und wie diese zum Papierpalast gekommen ist. Über die Kindheit der Mutter, die von ihrem Stiefvater misshandelt wurde. Bis hin zur Kindheit von Elle, die auch alles andere als einfach war.
Zunächst wirkt der Papierpalast wie eine perfekt leichte Sommerlektüre. Doch mit voranschreitender Story wird schnell deutlich, dass der verträumte Titel und die Papierpalast-Kulisse am See zunächst täuschen. Die Story dreht sich um düstere Familiengeheimnisse, Missbrauch, verkorkste Familiendynamik, aber auch große Gefühle wie Schuld, Scham und Vergebung.
Das ist kein Kritikpunkt! Denn die Story hat mich gefesselt. Ich konnte das Buch gar nicht mehr zur Seite legen. Dieser Twist der Handlung war einfach unerwartet. Aber ich habe mich gefreut, dass es sich nicht als seichter Schnulzenroman entpuppt hat. Trotzdem waren die Schilderungen zum Teil sehr heftig. Manch einen Leser könnte das vielleicht überfordern. Denn Vergewaltigung und Kindesmissbrauch sind krasse Themen.
Für mich war der Papierpalast auf jeden Fall ein richtig starker und vor allem vielschichtiger Roman! Miranda Cowley Heller schreibt unheimlich atmosphärisch. Ich könnte mir das ganze auch perfekt als Film vorstellen. Eine Triggerwarnung auf dem Buchdeckel wäre vielleicht nicht schlecht. Und ich hätte mir das Ende etwas detaillierter gewünscht. Denn das kam – nach der intensiven Vorgeschichte – für meinen Geschmack etwas zu kurz. Aber ein absolutes Lesehighlight für mich in diesem Jahr.




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