Margaret Atwood: Die Räuberbraut

Margaret Atwood zählt derzeit wohl zu den bekanntesten Autorinnen. Ihre Bücher verkaufen sich wie heiße Semmeln. Und spätestens seit der Verfilmung von „Der Report der Magd“ kennt jeder die kanadische Schriftstellerin beim Namen. Nach und nach versuche ich mich auch durch die älteren Romane von Atwood zu lesen. Dazu zählte nun auch die Geschichte „Räuberbraut“, die bereits 1993 erschienen ist. Hier inszeniert die gewiefte Literatin, eine absolute Anti-Heldin. Oder wie Atwood selbst auf dem Buchrücken verkündet: „Bisher habe ich über nette Leute geschrieben… nun mal was anderes!“

Bei dieser Anti-Heldin handelt es sich um Zenia. Sie ist wunderschön, intelligent und skrupellos. Alle Menschen in ihrem Umfeld werden ausgenutzt und manipuliert. Sie wickelt alle um ihren Finger. Hat für jeden die passende Jammergeschichte parat, um Mitleid zu erhaschen. Und greift dann aus dem toten Winkel an, ohne dass ihre Opfer eine Vorwarnung haben. Meist ist dann nicht nur das Geld futsch, sondern auch der Ehemann. Den nimmt Zenia für einen Stück ihres Weges mit, nur um ihn dann ebenfalls fallen zu lassen, wenn sie genug gespielt hat.

Zu ihren Opfer zählen die Historikerin Tony, die esoterische Yoga-Lehrerin Charis und die toughe Geschäftsfrau Roz. Eigentlich haben die drei nicht viel gemeinsam. Außer, dass die drei und Zenia zusammen zu Schule gingen. Und dass alle Opfer von Zenias fiesen Machenschaften wurden.

Einmal im Monat treffen sich die drei zum Essen. Noch immer lecken sie ihre Wunden und verarbeiten die Vergangenheit. Nach und nach lernt der Leser so die Frauen besser kennen und erfährt, wie Zenia ihnen übel mitgespielt hat. Auch erfahren wir, dass Zenia inzwischen gestorben ist. Angeblich in die Luft geflogen bei einem Attentat im Libanon. Doch als die drei sich wie gewohnt zum Essen treffen, erblicken sie die Totgeglaubte plötzlich in eben diesem Restaurant. Das beschwört viele Ängste wieder herauf.

Margaret Atwood hat mit ihrer Räuberbraut einen cleveren Roman konstruiert. Anfangs kam ich etwas schleppend in die Geschichte rein, da die Perspektivwechsel mir irgendwie zu schnell waren. Doch als das erst einmal sortiert war, konnte ich mich ganz auf die verschiedenen Schicksale der Frauen einlassen.

Wir begleiten Zenias drei Opfer bis in ihre Kindheit, erblicken ihre vergangenen Traumata und erleben, wie sich Zenia diese zu Nutze macht. Je nach dem, welches Opfer sie sich aussucht passt die gewiefte Frau sich an und entwirft die perfekte Rolle für das entsprechende Szenario.

Gemeinsam mit Tony, Charis und Roz lernen wir Zenia kennen und hassen. Gleichzeitig ist man aber auch fasziniert davon, wie diese Frau einfach alle um den Finger wickeln kann. Die drei haben alle Schicksalsschläge erlebt, die sie ihr Leben lang begleiten und von denen sie sich nie lossagen konnte.

Die Räuberbraut und Rachegöttin Zenia dagegen erfindet sich immer neu. Sie hat keine Vergangenheit. Erfindet jedes Mal eine neue Kindheitsgeschichte. Sie macht sich nicht angreifbar. Lässt sich von ihrem persönlichen Schicksal nicht unterkriegen, sondern denkt sich einfach ein neues aus. So wird sie zwar unnahbar und hart, aber setzt dennoch ihren Willen durch und wird von Atwood als absolut Böses dargestellt, dass die anderen Frauen zum Zittern bringt.

So schwankt man beim Lesen von „Räuberbraut“ immer wieder mit der eigenen Haltung. Ist Zenia nun von Herzen böse? Sind die anderen Frauen auch einfach zu naiv, immer wieder auf diese „Freundin“ hereinzufallen und nicht für ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse einzustehen? Stattdessen lassen sie alles über sich ergehen. Sind die Charaktere wirklich komplett schwarz und weiß?

Atwood hat mir „Räuberbraut“ wirklich einen packenden Roman geschrieben, der einen nach dem ersten Einfinden in die Charaktere total bei Stange hält und den man gar nicht mehr aus der Hand legen will. Ein spannendes, diabolisches Buch, das zeigt, was Frauen sich gegenseitig antun. Eine Geschichte, die unter die Haut geht.

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