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Lesetipp des Monats: Crash

Eckdaten zum Autor:

James Graham Ballard (J.G. Ballard) wurde in Shanghai geboren und starb 2009 in Shepperton. Das Werk des britischen Autors zeichnet sich durch eine unheimliche Bandbreite an Genres aus, die von Science-Fiction bis hin zu experimenteller Literatur reichen. Ballard studierte zunächst Medizin und wollte Psychiater werden. Seine erste Erzählung erschien 1951 in der Studentenzeitschrift des King’s Colleges. Nachdem er die Uni abbrach arbeitete er zunächst als Werbetexter und Verkäufer, später ging er zur Air Force. Flugzeuge und Fliegen sind ein immer wiederkehrendes Motiv seiner Werke. Außerdem entwarf er viele Dystopien und Weltuntergangsszenarien, beschreibt, welche Auswirkungen diese auf die menschliche Psyche haben. Sein Roman Crash erhielt sehr diverses Feedback. Das Verdikt eines Lektors: This author is beyond psychiatric help. Do Not Publish“. Die New York Times schrieb 1973: „Crash is, hands-down, the most repulsive book I’ve yet to come across“. Nun wird Ballards Werk wiederentdeckt und die weltbekannte Autorin Zadie Smith urteilt: „In Ballard’s work there is always this mix of futuristic dread and excitement, a sweet spot where dystopia and utopia converge. For we cannot say we haven’t got precisely what we dreamed of, what we always wanted, so badly.“

Wichtigste und bekannteste Werke:

  • Der Sturm aus dem Nichts, 1961
  • Crash, 1966
  • Empire of the Sun, 1984

Inhalt:

Ballard (ja die Hauptperson heißt genauso wie der Autor des Buches) führt eine leidenschaftslose Ehe, die nur noch auf mechanischen Sex reduziert ist. Eines Tages fährt er mit seinem Wagen durch die Stadt und verursacht einen Unfall. Ballard selbst wird schwer verletzt. Der andere Fahrer stirbt am Unfallort, seine Frau überlebt. Dieser Unfall scheint sein Leben verändert zu haben. Und durch ihn lernt er Dr. Robert Vaughan kennen, einen ehemaligen Medienwissenschaftler, den Unfälle magisch anziehen. Vaughan ist überzeugt, dass die Unfälle eine ganz besondere sexuelle Energie freisetzen. Sein größter Wunsch: Ein Frontalunfall mit Elizabeth Taylor, bei dem er sein leben verliert.

Unsere Meinung:

Crash ist radikal. Crash ist explizit. Crash geht an die Substanz. Das dünne Büchlein hat nur etwas über 200 Seiten. Und trotzdem habe ich für die Lektüre verhältnismäßig lange gebraucht. Denn die Schilderungen sind schon sehr skurril, befremdlich, außerhalb der Komfortzone. Hier nur ein kleiner Auszug, damit ihr einen Eindruck bekommt:

„In seiner Vision eines Autounfalls mit der Schauspielerin war Vaughan wie besessen von Wunden und Stoßwirkungen aller Art – […] vom Bildnis ihres von Scherben überzuckerten Gesichts, wenn sie die getönte Windschutzscheibe durchbrach wie eine totgeborene Aphrodite […] und vor allem von den Verletzungen ihrer beider Genitalien, ihre Gebärmutter, durchbohrt vom Sporn des Hersteller­emblems, sein Samen, wie er sich über die leuchtenden Zifferblätter ergoss […]“.

Ich glaube, das macht schon sehr deutlich, wie der Rest der Geschichte klingt. Sexuelle Fantasien herrschen hier vor. Die Liebe zum Auto soweit überspitzt, dass man bei einem Unfall mit ihm eins werden will. Ist das die Verdinglichung des Menschen oder die Vermenschlichung des Dinges in der sexuellen Ekstase? Egal ob Mensch oder Maschine: hier wird jeder und alles zum Objekt der Lust. Alles geht in sexuellen Rausch auf.

Dieses Buch ist definitiv nichts für zart besaitete Leser. Wer sich an expliziten Texten stört, sollte die Hände davon lassen. Aber es ist für mich kein Wunder, dass der Diaphanes Verlag Ballards Roman nun wieder entdeckt hat. In einer Zeit, in der Fifty Shades of Grey zum Kinokassenschlager wird und das Partyvolk in Massen in den KitkatClub rennt – warum nicht auch Crash wieder neu auflegen. Die breite Masse ist nicht mehr allzu geschockt von solchen Szenarien und Beschreibungen.

Aber es geht nicht einfach nur um das bloße Schockieren des Lesers. Vielmehr beschreibt Ballard die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Nur noch durch Maschinen, Metall und Schrauben können die Protagonisten seines Romans Lust verspüren. Die Maschinen nehmen jeden Teil unseres Mensch-Seins ein. Zu „normalen“ sexuellen und menschlichen Beziehungen und Regungen sind sie quasi nicht mehr fähig. So klingen auch die Schilderungen: Klinisch, harte Fakten, emotionslos. Die verletzten Charaktere spiegeln sich in ihren zerkratzen, verbeulten Autos wieder, erst wenn sie komplett eins werden, löst sich ihr Schicksal in Wohlgefallen auf.

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