„Weißes Rauschen“ ist nach “Mao II” mein zweiter Roman von Don DeLillo. Nachdem seit kurzem die Verfilmung auf Netflix zu sehen ist, wollte ich das Buch unbedingt von meinem Stapel ungelesener Bücher befreien. Und dann danach den Film als Vergleich anschauen.
Worum geht es? Jack Gladney lebt mit seiner Patchwork Familie in einer Kleinstadt in den USA und ist College Dozent und Spezialist für „Hitler-Studien“. Seine vierte Ehefrau ist Babette. Gemeinsam haben sie einen Sohn namens Wilder und es leben drei andere Kinder aus früheren Beziehungen bei ihnen. Ihr Leben verläuft beschaulich und ist von Ausflügen in Shoppingmalls und Fast Food Ketten bestimmt. Bis es eines Tages zu einem Chemieunfall in der Nachbarschaft kommt.
Eine giftige Wolke zieht über den Ort. Die Häuser müssen evakuiert werden. Die Bevölkerung flüchtet, um den Gasen nicht ausgesetzt zu werden. So auch Jack und seine Familie. Doch auf dem Weg haben sie auf einmal kein Benzin mehr. So muss sich Jack beim kurzfristigen Tankstopp wenige Minuten aus dem Auto begeben und dem giftigen Stoff aussetzen.
Nach einigen Tagen dürfen die Bewohner wieder nach Hause. Das Leben nun geprägt von Katastrophenübungen. Die Ärzte können Jack nicht sagen, was das Gift mit seinem Körper machen wird. Während Jack sich seinen Ängsten hingibt, ist auch seine Frau Babette voller Paranoia über den Tod. Sie geht soweit, ein experimentelles Medikament namens Dylar auszuprobieren, das ihr die Angst vor dem Sterben nehmen soll. Doch stattdessen wird sie einfach immer vergesslicher. Jack versucht ihren „Dealer“ aufzuspüren und es kommt zum großen Showdown.
„Weißes Rauschen“ wurde 1985 veröffentlicht, nur ein Jahr nach der nuklearen Katastrophe in Tschernobyl und inmitten einer zunehmend technikfeindlichen Welt. Don DeLillo schreibt: „Je größer der wissenschaftliche Fortschritt, desto primitiver wird die Angst“. Und da die Technologie in allen Bereichen der Gesellschaft, von der Medizin bis zur Kommunikation, eine immer größere Rolle spielt, gibt es immer die Befürchtung, dass das, was die Menschheit da erschafft, unser Verderben sein könnte.
„Weißes Rauschen“ ist ein Buch voller Ängste. Allen voran natürlich die Angst der beiden Protagonisten zu sterben. Eine Tatsache, auf die keiner von uns im Leben Einfluss nehmen kann. Die Figuren sind alle beherrscht vor der Angst des Ungewissen, vor der Angst, die Dinge und das Leben nicht kontrollieren zu können. Sie verlieren die Perspektive, vergessen sich selbst und ihre Erinnerungen.
Auch schon bei seiner Arbeit als „Hitler-Experte“ ist Jack voller Angst und leidet am Impostersyndrom. Denn er spricht kein einziges Wort Deutsch. Jack versucht aber dennoch ein Denkmal zu hinterlassen als Experte in seinem Feld. Er weiß, dass eine Figur wie Hitler für immer unvergessen bleibt (natürlich trotz seiner Gräueltaten). Aber auf seine eigene Weise probiert der Professor sich ebenfalls in die Geschichtsbücher zu schreiben, indem er der vorherrschende Spezialist dieser Wissenschaft ist.
Anstatt sich in Religion o.ä. zu flüchten, kompensiert die Gesellschaft, die Don DeLillo hier schafft, ihre Neurosen und Paranoia mit Konsum. Marken sind die neuen Gottheiten. So flüstert die eine Tochter im Schlaf berühmte Brand Names.
Es ist ein skurriles Buch, voller neurotischer Charaktere. Viele Themen waren und sind immer noch brandaktuell und haben ihre absolute Berechtigung! Liest man heute davon, wie die Bewohner in Quarantäne müssen, kommt einem das nach den letzten zwei Jahren nur allzu bekannt und gruselig vor.
„Die älteren Menschen waren besonders empfänglich für Nachrichten von drohenden Katastrophen wie si im Fernsehen von Männern, die mir ernster Miene vor Digital-Radarkarten oder flimmernden Satellitenfotos standen, vorausgesagt wurde. In heller Aufregung eilten sie zum Supermarkt, um Vorräte zu ergänzen, bevor die Wettermassen heranzogen.“
Don DeLillo: Weißes Rauschen
Don DeLillo ist sicherlich ein begabter Autor. Seine Ideen klug und spannend. Aber sein Roman will zu vieles auf einmal. Er erschlägt einen mit Thesen, Konsumkritik und Neurosen. Alles wirkt wirr und erschlagend. Und verliert so leider beim Lesen seine Wirkung. Bei den Äußerungen der Protagonisten weiß man nie, ob sie sarkastische Kommentare sind oder ernst gemeinte Kritik am System. Und auch das Ende wirkte befremdend. So blieb „Weißes Rauschen“ trotz vieler guter Ansätze und Ideen leider hinter meinen Erwartungen zurück.