David Mitchell: Die Knochenuhren

Spätestens mit der großartigen Verfilmung seines Bestsellers Der Wolkenatlas ist David Mitchell weltbekannt geworden. Dieses Jahr erschien nun endlich sein neuer Roman Die Knochenuhren, der – meiner Meinung nach – seinem berühmten Vorgänger nur wenig nachsteht. Alles beginnt mit Holly Sykes, einem Teenie-Mädchen aus Kent. Holly glaubt, sie hat die große Liebe gefunden. Doch dann findet sie heraus, dass ihr Freund sie ausgerechnet mit ihrer besten Freundin betrügt. Am Boden zerstört, beschließt Holly von zu hause abzuhauen…

Was zunächst wie ein Teenie-Buch erscheint, entpuppt sich aber schnell in einen spannenden Fantasy-Roman mit gesellschaftskritischen Zügen, der um Hauptperson Holly herum gesponnen wird. Denn auf ihrer Flucht trifft Holly auf eine alte Dame, die sie bittet, ihr “Asyl” zu bieten – und damit wird das Mädchen in einen jahrhundertealten Machtkampf zwischen den Anachoreten und den Horologen hineingezogen. Die Anachoreten sind in diesem Fall die Bösen, quasi unsterblich sind und die Seelen ihrer Opfer “fressen”. Die Horologen hingegen sind Menschen, die durch die Zeit wandern, da ihre Seelen immer wiedergeboren werden:

Was geboren wird, muss eines Tages sterben. So steht es im Vertrag des Lebens, richtig? Nun, “ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass sich dieses eherne Gesetz in seltenen Fällen… umschreiben lässt.”

Dadurch schafft Mitchell es, den Bogen seiner Geschichte über der gesamten Globus und vom Mittelalter bis ins Jahr 2043 zu spannen. Ähnlich wie beim Wolkenatlas variiert Mitchell hier wieder zwischen verschiedenen Genres, wie Mystery, Science Fiction, Kriegsreportage oder Coming-of-Age. Dabei wird nur in den beiden Rahmenteilen die Perspektive von Holly eingenommen. Die anderen Handlungsabschnitte werden aus der Sicht von Personen geschildert, die aber alle mit Holly verbunden sind, in ihr Leben eintreten, ihr etwas bedeuten. Und so bekommen wir die Geschehnisse aus ganz verschiedenen Richtungen beschrieben. Gerade diesen beiden Aspekte bewundere ich bei Mitchells Geschichten unheimlich. Schon beim Wolkenatlas hat er die verschiedenen Genres und Protagonisten wundervoll vermischt und so trotz der unterschiedlichen Schreibstile ein abgerundetes “großes Ganzes” geschaffen, dass einen beim Lesen immer weiter fasziniert und in Spannung hält. Jeder Erzähler bekommt hier seine eigene Stimme und auch die Genres sind klar abgegrenzt. Trotzdem wirkt alles wie aus einem Guss. Der Leser muss zwar aufmerksam die Puzzelstückchen zusammensetzen und vieles erschließt sich nicht sofort. Aber das machte für mich auch einen Großteil der Faszination dieses Buches aus.

Ebenfalls parallel zum Wolkenatlas sind der Rückblick in der Zeit sowie die düstere Zukunftsvision der Erde und des Schicksals ihrer Bewohner. Ich bin kein großer Fan von Fantasy-Geschichten, aber Mitchell schafft es, diese Aspekte so gekonnt in einen “normalen” Kontext zu integrieren, dass es fast logisch erscheint, wie die Seelen durch die Jahrhunderte reisen. Dabei ist Mitchells Erzählstil so schön flüssig, dass ich mir beim Lesen die ganze Handlung schon auf einer großen Leinwand mit spektakulären Special-Effects vorstellen konnte. Mich würde es nicht wundern, wenn wir die Knochenuhren auch irgendwann einmal im Kino sehen. Mein Fazit daher: Ein komplexer, magischer Roman mit faszinierender Erzählstruktur, der einen absolut fesselt beim Lesen und den ich gar nicht mehr aus der Hand legen konnte.

 

Vielen Dank an den Rowolth Verlag für das Rezensionsexemplar!

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