Christopher Isherwoods „Die Welt am Abend“ beginnt mit einem Knall: Der Protagonist Stephen Monk ist mit seiner Frau Jane auf einer Party – und erwischt sie in flagranti. Sofort nimmt Stephen reiß aus und flüchtet zu seiner Tante aufs Land. Hier möchte er zur Ruhe kommen, seine Gedanken sortieren, sich darüber bewusst werden, was er im Leben will. Denn die Botschaft des Buches ist eine ganz einfache: Jeder muss seinen eigenen Weg im Leben finden. Egal, was andere über einen denken könnten und was die Normen sagen.
Doch bis Stephen zu dieser Erkenntnis kommt, dauert es seine Zeit. Durch einen Unfall landet er im Krankenhaus, wodurch er ans Bett gefesselt ist, nicht aufstehen und im wahrsten Sinne des Wortes, nicht vor seinem Leben davon rennen kann. So beginnt er über die Vergangenheit nachzudenken: In erster Ehe war er mit der erfolgreichen, aber älteren Autorin Elizabeth Rydal verheiratet in den frühen 1930iger Jahren. Erst scheint es für ihn unabsehbar, das jemand wie Elizabeth Gefühle für ihn haben könnte. Doch die beiden verlieben sich, heiraten und reisen um die Welt. Lange führen sie eine glückliche Ehe, obwohl hinter vorgehaltener Hand die Leute immer über ihren Altersunterschied tuscheln und darüber, dass Stephen doch nur an Elizabeths Geld interessiert ist.
Während seine Frau sich auf ihre Bücher konzentriert, hat Stephen zahlreiche Affären. Eine davon beeinflusst ihn maßgeblich. Denn auf ihrer Reise lernen die beiden den jungen Michael Drummond. Stephen, der schon vorher Beziehungen zu Männern hatte, fühlt sich von Michael magisch angezogen. Aber aufgrund sozialer Normen und Konventionen, aufgrund der Angst vor Scham und Ausgrenzung weist er ihn schließlich ab. Erst später, wenn es eigentlich schon zu spät ist, realisiert er, dass er nur auf sich selbst hören sollte und was er dadurch bereits verpasst hat auf seinem Werdegang.
Die Geschichte mutet ein wenig wie ein Coming-of-Age-Roman an. Denn die Figur des Stephen Monk muss durch viele Höhen und Tiefen gehen, bevor er endlich versteht, wer er wirklich ist, wo sein Platz in der Gesellschaft ist und vor allem, dass ihm die Meinung dieser Gesellschaft egal sein sollte.
Wie immer bei Isherwood sieht man in der Geschichte ganz klare Parallelen zum Leben des Autors selbst. Stephen Monk und Christopher Isherwood verbindet viele wichtige Eigenschaften: die Liebe zum Reisen, das Dandy-Dasein, Homosexualität, das Faible für das verruchte Berlin – das auch gleich wieder an seinen Roman “Leb woh,l Berlin” denken lässt. Selbst in dieser Bildungsroman-ähnlichen Geschichte verpasst er nicht die Gelegenheit auf das Nazi-Deutschland unter Hitler zu verweisen und sich ganz klar davon zu distanzieren. All das schafft Isherwood ganz unaufgeregt nebenbei in seinen Roman mit einzuflechten
Hauptmotiv ist und bleibt aber die Suche bzw. das Finden von sich selbst, der Prozess der Katharsis von Stephen Monk. Heute scheint es für viele selbstverständlich zu sein, sich vor Freunden und Familie zu outen. Zu Isherwoods Zeiten war es das definitiv nicht. Es ist also kein leichter Schritt für seine Figur, diese Gefühle zuzulassen und auszusprechen. Aber vor allem muss Stephen Monk selbst begreifen, wer er ist. Und dass er sein wahres Ich nicht hinter Reisen, Champagner-Partys und witzigen Sprüchen verstecken kann.