arundhati roy ministerium des äußersten glücks buchlingreport

Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks

Als herauskam, dass Arundhati Roy in diesem Jahr einen neuen Roman auf den Markt bringt, ging ein großes Raunen durch die literarische Welt. Schließlich hatte man über 20 Jahre auf dieses Ereignis warten müssen. Denn nach ihrem Welt-Bestseller Der Gott der kleinen Dinge hat sich die indische Autorin lange aus der Literatur-Szene zurückgezogen. Roy hat sich in Indien stark politisch engagiert und setzt sich unter anderen für die Unabhängigkeit von Kaschmir ein. Sie protestierte gegen ein Staudammprojekt in ihrem Heimatland und gegen den indischen Besitz von Atomwaffen.

Dem Ruhm und Rummel um sie als große indische Schriftstellerin wollte sie entgehen, wie sie gerade erst beim Internationalen Literaturfestival in Berlin erklärte. Dort hatte ich auch das Glück, sie zu sehen und ihren Erzählungen zu lauschen.  Unheimlich beeindruckend wirkte diese Frau auf mich, die dort mit ihrer kleine, zarten Figur auf der Bühne stand und von den Konflikten ihres Heimatlandes erzählte. Und die sind leider zahlreich. Roy erzählt aufwühlendes:  Zum Beispiel von einer Journalistin, die sich nicht vom Regime manipulieren lassen wollte – und dafür vor kurzem erst ermordet wurde. Und davon, dass sie selbst auch häufig bedroht wird.

Indien – ein Land voller Konflikte

All diese aktuellen und historischen Konflikte Indien haben auch Einzug in Roys zweiten Roman Das Ministerium des äußersten Glücks gefunden.  Es ist ein vollgepackter Roman, bei dem man aufpassen muss Schritt zu halten. Es ist eine Geschichte voller Gewalt, Ungerechtigkeiten, voller Missstände und Probleme, die Indien aufwühlen. Mitten in diesem Strudel findet sich Roys Protagonistin Anjum – die eigentlich als Aftab auf die Welt kam.

Nachdem in der Familie nur Mädchen geboren wurden, wünschen sich die Eltern endlich einen Jungen. Doch das Kind kommt als Hermaphrodit zur Welt, wird als Junge aufgezogen und fühlt sich doch immer als Frau. Bald flüchtet Anjum vor ihrer Familie und landet – nach einer weiteren Zwischenstation bei anderen Hirjas (wie man Hermaphroditen in Indien nennt) und einem traumatischen Erlebnis – schließlich auf einem Friedhof. Dort baut sie nach und nach zwischen den Gräbern eine Herberge auf und bietet anderen Heimatlosen und Aussteigern ein Zuhause.

Zwischen den Toten und den Lebenden, zwischen den Kasten und den Geschlechtern bilden diese Außenseitern auf kleinsten Raum den perfekten Ort, eine Insel der Gleichheit, eine Oase der Ruhe in all dem Chaos. Sie bilden einen Ort, an dem die indische Gesellschaft im kleinen funktioniert: hier leben Hermaphroditen, Muslime, Christen, Menschen aller Kasten friedlich zusammen und bilden eine Gegengesellschaft zur der brutalen Realität, die das Land beherrscht.

Poetisch aber auch anspruchsvoll

Wunderschön und poetisch schreibt Arundhati Roy ihre Geschichte. Ihr Schreibstil hat fast ein bisschen etwas magisches an sich, eine flirrende Wortwahl, etwas waberndes, das den harten, kalten und zum Teil auch brutalen Fakten der Geschichte gegenübersteht. Aber die Geschichte um Anjum und die anderen Herbergsbewohner hat es in sich. Nicht selten hatte ich das Gefühl total den Faden verloren zu haben. Anjums Geschichte zu Beginn des Buches ist dabei noch der leichteste Teil. Später treten aber noch weitere Figuren hinzu wie die schöne Tilottama und ihre vier Verehrer. Ihre Geschichte handelt vor allem um den Kampf in Kashmir.

Und hier gibt es immer wieder Zeitsprünge und Einschnitte. Handlungen werden angerissen und erst viele, viele Seiten später weitergeführt. Das verlangt dem Leser einiges ab. Wenn man dann noch so wenig Vorwissen über die Konflikte Indiens hat wie ich, dann ist auch erstmal etwas Recherche angesagt. Vieles hat für mich erst nach dem Besuch der Lesung von Arundhati Roy richtig Sinn ergeben.

Das Ministerium des äußersten Glücks ist deshalb wirklich kein Buch, dass man mal so eben nebenbei wegliest. Man muss sich darauf einlassen und am Ball bleiben. Denn wenn man es zu lange zur Seite legt, hat man bestimmt viele wichtige Details vergessen. Aber wie soll man so ein durchwachsenes Land wie Indien auch anders schildern? Mit seinen vielen Konflikten, seinen vielen Religion, Kasten, ein Land zwischen Gewalt und Bollywoodkitsch?

Ich wollte keinen folgsamen, zivilisierten Roman schreiben, so wie sich die Leute einen Roman vorstellen, sondern wollte die Erwartungen brechen, denn die Dinge sind brüchig hier, bei uns, in dieser Welt. Ich erzähle eine zertrümmerte Geschichte. (Arundhati Roy, Quelle BR Radio)

An diese zertrümmerte Geschichte muss man sich als Leser nur rantrauen und – zugegeben – auch etwas durchbeißen.

 

Facebooktwitterrssinstagram

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert