„Der Schlüssel“ ist ein absoluter Klassiker der japanischen Literatur. Jun’ichiro Tanizaki schildert darin die Geschichte eines Ehepaares, das versucht, seine eingeschlafene sexuelle Beziehung wiederzubeleben. Aufgrund der gängigen Konventionen und der konservativen Traditionen, die in Japan herrschen, ist ein offenes Sprechen über Sex nicht möglich. So fangen die beiden an, Tagebücher zu schreiben. Den Tagebuchseiten können sie alle ihre Lüste, Sehnsüchte und Geheimnisse verraten.
Schnell wird klar, dass die Tagebücher aber nicht wie üblich geheim gehalten werden. Vielmehr hat das Ehepaar sich eine ganz eigene Form der Kommunikation angeeignet. Obwohl sie im Alltag so tun, als wüssten sie nichts über die Geheimnisse des anderen. Der Mann leidet darunter, dass sein Standvermögen nicht so groß ist und beschuldigt seine Frau, zu große Gelüste zu haben, die er nicht erfüllen kann. Sie wiederum versucht, ihre ehelichen Pflichten wahrzunehmen und ihren Ehemann zu befriedigen.
Mit hineingezogen in diese merkwürdige Situation werden auch die Tochter und ihr Freund Kimura. Der Ehemann eröffnet seinem Tagebuch schließlich, dass Eifersucht seine Libido steigert. Und so fängt die Frau sich immer mehr mit Kimura einzulassen. Auch die Tochter bekommt dies mit und unterstützt die Affäre ihrer Mutter sogar.
Jun’ichiro Tanizaki sorgte für einen Skandal in Japan
Die Beziehung zwischen den Eheleuten scheint die typischen konservativen Rollenbilder im damaligen Japan von 1965 widerzuspiegeln. Und scheinbar hat Tanizaki mit dieser Geschichte eine große Diskussion über Pornografie hervorgerufen. Nur knapp entging das Buch der Zensur. Kein Wunder, denn auch für heutige Verhältnisse sind einige Episoden der Geschichte sehr merkwürdig und fragwürdig. So wird die Ehefrau oft betrunken gemacht, bis sie quasi ohnmächtig ist und der Mann macht dann heimlich Fotos von ihr oder hat in diesem Zustand Sex mit ihr.
Aber keine Sorge, auch das Verhalten der Frau lässt nicht zu wünschen übrig. Aus dem lüsternen Tagebuchschreiben wird schnell ein manipulatives Machtspiel. Nie darf man den Schreibenden komplett trauen. Ständig muss man sich als Leser fragen, was wahr ist und was Lüge? Und schließlich endet der übergriffige Kampf um sexuelle Befreiung mit einem dramatischen Höhepunkt, der es echt in sich hat!
Trotzdem war dieses Buch von Jun’ichiro Tanizaki eine krasse und ungewöhnliche Leseerfahrung. Diese Tagebucheinträge waren schonungslos und verstörend und gleichzeitig so fesselnd, dass ich das Buch nicht hinlegen konnte. Das Ende hat mich völlig geschockt. Das muss man erst einmal sacken lassen. Ein unfassbar vielschichtiger Roman mit psychologischer Tiefe. Kein Wunder, dass er als moderner Klassiker zählt!