Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels

Muriel Barbery und ihr Roman „Die Eleganz des Igels“ war ein völlig überraschendes Lesehighlight für mich in diesem Jahr. Ich hatte das Buch der französischen Autorin gar nicht so sehr auf dem Schirm. Aber es wird in meiner Ausgabe von dem Buch „1001 Bücher, die man gelesen haben sollte“ genannt. Und als ich auf der Suche nach neuem Lesefutter war, fiel mir Barbery in die Hände.

In diesem Buch schildert Barbery die bezaubernde Geschichte von zwei sehr unterschiedlichen Protagonistinnen: Zum einen ist da die 54 Jahre alte Renée Michel, die seit über 30 Jahren in einem herrschaftlichen Stadthaus in der Rue de Grenelle in Paris als Concierge angestellt ist. Anderseits ist da die kleine Paloma, die erst 12 Jahre ist und mit ihren gutbetuchten Eltern im selben Haus wohnt. Die beiden Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein, denkt man auf den ersten Blick. Doch bei genauerem Hinsehen haben die zwei viel gemeinsam.

Sowohl Paloma als auch Renée sind unheimlich intelligent. Sie beschäftigen sich mit Literatur, Philosophie, klassischer Musik und haben beide ein Faible für japanische Kultur und Filme. Doch in ihrem Umfeld hat niemand Verständnis für die beiden. Paloma hasst ihre dekadente Familie, die nur auf Status, Geld und Geprahle aus ist und sich ihren Luxusproblemen hingibt. Deshalb will sie an ihrem nächsten Geburtstag die Wohnung in Brand stecken und eine Überdosis nehmen.

Denn das scheint für das hilflose Mädchen der einzige Ausweg aus ihrem goldenen Käfig. Aus dieser Welt voll Egozentrikern, die sich nur um sich selbst kümmern. Nie über den Tellerrand schauen. Nichts neues ausprobieren. Nur nach der Norm leben und andere beeindrucken wollen mit schnödem Schein:

Wir sehen nie über unsere Gewissheiten hinaus, und was noch schlimmer ist, wir haben es aufgegeben Begegnungen zu machen, wir tun nichts anderes, als uns selbst zu begegnen, ohne uns in diesen ständigen Spiegeln wiederzuerkennen.

Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels

Renée wiederum hat ihr eignes Päckchen zu tragen. Vieles lässt und Muriel Barbery erst in Laufe der Handlung entdecken. Aber schnell ist klar, dass die abweisend-spröde wirkende Concierge ihren wahren Charakter und ihr Wissen gezielt hinter ihrem abwesenden Verhalten und gespielter Dummheit versteckt. Doch die kleine Paloma ist ihr bereits auf die Schliche gekommen:

Madame Michel besitzt die Eleganz des Igels: Außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, dass sie innen auf genauso einfache Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind.

Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels

Auftritt Kakuro Ozu

Alles könnte so bleiben wie bisher. Doch dann lässt Muriel Barbery einen neuen Mieter in das Haus ziehen: Kakuro Ozu. Der sich nicht nur schnell mit Paloma anfreundet, sondern auch durch die Fassade von Renée blicken kann. Für ihn spielt es keine Rolle, das die eine nur 12 Jahre alt ist. Und dass die andere doch nur eine Concierge ist. Er erkennt sie als die Personen an, die sie sind. Und gemeinsam durchbrechen sie die Hürden zwischen ihren Gesellschaftsschichten, ihrem Alter etc.

Können  wir so ähnlich sein und in Welten leben, die so weit voneinander entfernt sind? Ist es möglich, dass wir die gleiche Hektik teilen, obgleich wir weder vom gleichen Boden noch vom gleichen Blut sind, noch nach dem gleichen streben?

Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels

„Die Eleganz des Igel“ war für mich wirklich ein besonderes Buch. Muriel Barbery hat es geschafft diese teils schwere, teils doch auch etwas kitschige Thema in eine wundervolle Sprache zu verpacken. Teilweise strotzt die Erzählung vor Witz und Sarkasmus. Teilweise sind es leise Töne, voller Melancholie, die das Leid der Protagonisten wederspiegeln. Dazu noch die zahlreichen Querverweise auf große Literaten, Philosophen und Musiker.

Allem voran steht und fällt das Buch aber mit der Botschaft, dass wir alle unsere Vorurteile hinter uns lassen sollten. Offen für neues sein sollten, egal ob es ein neuer Film ist, eine neue Speise, die wir probieren, oder wenn wir einen neuen Menschen kennenlernen. Es gibt nichts schlimmeres, als das Leben in einem Goldfischglas zu verbringen, in das man sich selbst gesteckt hat!

Hier gibt es übrigens auch ein spannendes Interview mit Muriel Barbery zu ihrem Roman, falls ihr noch mehr über das Buch, die Autorin und die Charaktere erfahren wollt.

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