Wir holen alles nach

Martina Borger: „Wir holen alles nach“

„Wir holen alles nach“ ist eines dieser kurzen 295 Seiten Bücher aus dem Diogenes-Verlag, die sich superschnell durchlesen lassen. Sowas ist für mich genau das Richtige für Zwischendurch, wenn ich gerade keine dicken Wälzer lesen mag. Dies und die Geschichte haben mich spontan dazu bewogen, den Roman von Martina Borger zu lesen. Jetzt wollt ihr sicher wissen, worum es geht.

Sina ist eine junge, alleinerziehende Mutter und lebt in München. Mit ihrem neuen Freund Torsten ist sie noch nicht lange zusammen. Sie gehen ihre Beziehung langsam an, denn er hat gerade erst einen Alkoholentzug hinter sich und ist auf Jobsuche. Sinas Sohn Elvis geht in die Grundschule und bekommt Nachhilfe von Ellen, damit er eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt. Ellen ist Rentnerin, lebt allein mit ihrem Hund und bessert mit kleinen Jobs ihre Rente auf. Sie ist eine sehr liebevolle und einfühlsame Frau. Darum erklärt sie sich bereit, Elvis auch in den Ferien zu betreuen, da sein leiblicher Vater mal wieder abgesagt hat. Elvis ist gerne bei Ellen und ihrem Hund, versteht sich mit ihr fast besser als mit seiner Mutter. Natürlich führt das zu Spannungen zwischen Ellen und Sina. Sina ist immer im Stress, da sie um ihren Job in einer Werbeagentur bangt und sehr viel arbeiten muss. Ihre Sorgen und ihr schlechtes Gewissen, zu wenig Zeit für ihren Sohn zu haben, sind total nachvollziehbar.

Mysteriöse blaue Flecken heizen die Gerüchteküche an

Als Elvis nach einem Wochenende mit blauen Flecken und großen Bauchschmerzen bei Ellen auftaucht, ist diese alarmiert. Was ist passiert? Elvis war an dem Wochenende erst mit Torsten zelten und dann mit seinem Freund Lukas und dessen Familie in deren Ferienhaus. Elvis möchte sich nicht dazu äußern. Ellen und Sina sind beide ratlos. Sina unternimmt erstmal nichts. Als er dann zum zweiten Mal sehr starke blaue Flecken hat, fällt dies auch in der Schule auf. Elvis‘ Lehrerin möchte der Angelegenheit nachgehen. Bei einem zufälligen Gespräch mit Ellen, lässt diese durchblicken, dass ihr Verdacht auf Torsten fällt. Damit tritt sie etwas los, dass tiefgreifende Veränderung im Leben von Sina und Elvis zur Folge hat. Aber ist Torsten wirklich schuldig?

Ich hatte hier von Anfang an meine Zweifel und einen ganz anderen Verdacht, möchte euch aber nicht zu viel verraten. Denn das macht ja die Geschichte spannend. Im Grunde genommen, geht es ja darum, was wir auslösen können, indem wir ohne Beweise einen anderen Menschen anklagen, etwas Schlimmes getan zu haben oder Gerüchte in die Welt setzen, die nicht stimmen. Die Thematik ist sehr wichtig und in dieser Geschichte hervorragend umgesetzt.

Etwas klischeehafte Charaktere

Ich mochte die Figur der Ellen sehr. Ein wenig hat mich jedoch gestört, dass sie so moralisch dargestellt wurde. Sie ist super umweltbewusst, kauft nur im Bio-Supermarkt ein, ist Vegetarierin, achtet darauf so wenig Müll wie möglich zu machen. Wahrscheinlich ist das bewusst als Kontrast zu Sina konstruiert, aber manchmal war die schwingende Moralkeule etwas nervig. Auch Sina gibt das typische Bild einer gestressten alleinerziehende Mutter ab, die versucht alles unter einen Hut zu bekommen und ihrem Sohn einen Hund kauft, statt für ihn da zu sein.  

Insgesamt hat mir “Wir holen alles nach” von Martina Borger dennoch gut gefallen! Die Geschichte ist schön erzählt und rund. Sie ist bodenständig und kommt trotz der manchmal klischeehaften Eigenschaft sehr authentisch rüber.

Der Roman ist übrigens noch relativ neu und erst am 1. April 2020 bei Diogenes erschienen.

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