Worum geht es?
Pip Tyler, Anfang 20, hat einen großen Haufen Schulden durch ihre Collegeausbildung, lebt in einem besetzten Haus und hasst ihren öden Job im Direktmarketing. Aufgewachsen ist sie bei ihrer Mutter in einer recht spartanischen Hütte mitten im Wald. Sie weiß nicht, wer ihr Vater ist und ihre Muttter will es ihr partout nicht verraten. Das wurmt Pip, die sich überhaupt für recht verkorkst hält.
Dann bekommt sie ein Praktikum in Bolivien beim „Sunlight Project“ angeboten, einem Whistleblowerprojekt des in der DDR aufgewachsenen, berühmten Andreas Wolf. Obwohl Wolf natürlich eine fiktive Figur ist, wird er mit Julian Assange und Edward Snowden verglichen. Pip ist skeptisch, warum Wolf ausgerechnet sie als Praktikantin so hartnäckig anwirbt und sogar die Reisekosten übernehmen will. Da sie jedeoch mit ihrem ganzen Leben hardert, nimmt sie das Angebot an. Außerdem bietet er ihr an, seine Netzwerke und Spezialsoftware für die Suche nach ihrem Vater zu nutzen. Das sollte einen eigentlich stutzig machen: Weiß Wolf etwas über Pip, steckt da ein Plan dahinter? Die eigenwillige Pip schreckt das jedenfalls nicht ab. Leider findet sie in Bolivien nichts über ihr Familiengeheimnis heraus und es hilft ihr auch nicht weiter, dass Andreas Wolf sich in sie verliebt. Da er ihr unheimlich ist, beendet sie ihr Praktikum nach wenigen Wochen. Wolf verhilft ihr stattdessen zu einem Job bei einem unabhängigen, investigativen Online-Magazin, in deren Netzwerk sie für ihn eine Spionagesoftware platzieren soll. In der Redaktion versteht sie sich mit dem Chef Tom Aberant und der Redakteurin Leila, die ein Paar sind, überdurschschnittlich gut. Die beiden bieten Pip sogar an bei ihnen zu wohnen.
Was ist so toll daran?
Jonathan Franzen ist ein wahnsinnig guter Erzähler, der der Psyche seiner Figuren auf den Grund geht und die menschliche Seele in kraftvolle Worte packt. Es geht primär nicht um das was die Figuren tun, sondern um das was sie dabei empfinden und denken. Das mag ich so sehr an seinem Stil. Und das ist es auch, was diese 830 Seiten spannend bis zur letzten Szene machen. Dazu kommt noch, dass der Handlungsaufbau den Spannungsbogen gut konstruiert. Der Fokus wird immer wieder auf eine andere Person gelegt. So dauert es eine Weile bis man Pips Geschichte aus ihrer Perspektive, Toms Leben aus seiner und Andreas Leben aus seiner Perspektive tiefgehend erkundet hat. Hier stecken fast mehrere einzelne Romane in einem großen Werk. Die raffinierten Verbindungen zwischen einzelnen Personen machen den Clou des Werkes aus. Zu Beginn hat man keinen blassen Schimmer, wie die Figuren zueinander in Zusammenhang stehen. Sie haben scheinbar nichts miteinander zu tun. Und langsam, ganz langsam fängt es dann plötzlich an zu dämmern 🙂
Typisch für Franzen ist, dass er auch immer gesellschaftliche und politische Themen aufgreift. Dieses Mal hat er es geschafft, den Bogen weit zu spannen, von der DDR, über Bolivien bis in die gegenwärtige USA. Dabei treten Bilder nebeneinander auf, die beispielsweise die Abhängigkeit von einer Regierung wie der DDR mit der heutigen Abhängigkeit vom Internet (bzw. auch deren Huldigung und Unterwerfung) vergleichen. Nur durch so viele Bilder, Themen und Motiven kann so ein monumentales Werk entstehen. Franzen wird nicht umsonst als einer der besten Erzähler und Romanciers unserer Zeit bezeichnet!
Kurz und knapp: Ein super Roman!
Ich habe auch, glaube ich, keine Rezension in den Zeitungen gefunden, die das Werk verrissen hätte.
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