Donna Tartt: Der Distelfink

Der Distelfink von Donna Tartt erschien bereits 2013 und ist das vierte Buch der Bestseller-Autorin. Ihren Durchbruch hatte sie mit „Die geheime Geschichte“. Für den Distelfink wurde Tartt mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet, das Buch verkaufte sich allein im ersten Jahr 1,5 Million Mal und 2019 wurde der Plot auch verfilmt, u.a. mit Nicole Kidman.

Theo Decker ist dreizehn Jahre alt als er seine Mutter verliert. Die beiden waren gemeinsam in einem New Yorker Museum, haben Gemälde bewundert und die Mutter erzählte Theo etliches über die Werke der verschiedenen Künstler. Und ausgerechnet dann passiert das Unglück: Eine Bombe explodiert. Ein Terroranschlag. Das Museum liegt in Trümmern. Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte. Darunter leider auch Theos Mutter.

Doch das weiß Theo noch nicht. Er sucht verzweifelt nach ihr und beschließt, als er sie nicht finden kann, Zuhause auf sie zu warten. Mit dabei: Das Gemälde des Distelfinks, dass der Junge einfach in die Tasche steckt. Zunächst, um es zu retten, da es eines der Lieblingsbilder der Mutter war. Doch dann dient es wie ein Andenken an die Mutter, wie eine Erinnerung an ihre letzten Momente zusammen. Aber anstatt dass das Bild ihm Trost spendet, scheint es ihn im Folgenden immer weiter in einen Abgrund zu ziehen.

Donna Tartt schildert, wie Theo immer weiter gereicht wird: Er kommt das Jugendamt und will ihn in ein Heim stecken. Dann kommt er bei der reichen, aber verkorksten Familie eines Schulfreundes unter und schließlich holt sein Vater ihn ab. Dieser hatte die Familie ein Jahr zuvor im Stich gelassen, hat Alkoholprobleme und Spielschulden und eine neue nervige Freundin.

Wirklich Hilfe bekommt Theo bei keiner dieser Stationen. Der Teenager ist völlig auf sich allein gestellt bei der Verarbeitung dieser traumatischen Erlebnisse und des Verlusts seiner Mutter. Nur sein neuer Freund Boris scheint ein Ohr für ihn zu haben. Doch Boris hat seine eignen Probleme, wie seinen trinkenden, aggressiven Vater. Und so rutschen die Jungs immer weiter in einen Sumpf aus Drogen und Alkohol.

Der Distelfink selbst hat in Donna Tartts Roman eigentlich eine eher untergeordnete Rolle. Er ist stiller Begleiter von Theos Odyssee ins Erwachsenen-Leben und erst zum Schluss kommt es zu einem großen Showdown. Ganze tausend Seiten hält Donna Tartt ihre Leser hin, um zu erfahren, wie das Schicksal von Theo und dem Gemälde wohl ausgehen. Da muss man schon etwas Geduld haben – und starke Handgelenke, denn die Hardcover-Ausgabe wiegt schon so einiges.

Für mich war es das aber wert. Sicherlich hatte die Geschichte an einigen Stellen ihre Längen. Aber für mich war der Distelfink mal wieder ein richtig schöner Schmöker, den ich nach Feierabend sofort zur Hand genommen habe, weil ich mich gleich in diese Erzählung fallen lassen wollte. In einigen Artikel über das Buch habe ich gelesen, dass Tartts Schreibstil mit dem von Charles Dickens verglichen wird. Und zugegeben, wenn man so darüber nachdenkt, kann man schon einige Parallelen zu den Geschichten um Oliver Twist und David Copperfield erkennen.

Unser verwaister Held ist eigentlich permanent auf der Suche nach sich selbst. Er versucht die Trauer, Einsamkeit und Angst, die sein Leben seit dem Tod der Mutter beherrscht zu überwinden. Und dabei begegnen ihm zahlreiche kuriose Gestalten, in denen er versucht eine Stütze zu finden. Nur um dann doch zu erkennen: Das auch alle anderen gebeutelt sind von ihren Schicksalen, ihre Problemen, Krankheiten, ihrem zwanghaften Verhalten. Das perfekte Leben gibt es nicht. So wie der Distelfink. Der zunächst wie ein wundervolles Abbild der Realität wirkt. Fast als wäre der Vogel echt. Und dann erkennt man, dass der Vogel a) eben doch nur ein Bild ist. Und b) dass er mit einer Kette gefesselt ist und so auch nicht vor seinem Schicksal fliehen kann. Und so ist die Lösung nur, das beste daraus zu machen und es in vollen Zügen zu genießen, sich hineinzustürzen und es mit all seinen Facetten auszukosten.

Dabei gelingt es Donna Tartt in ihrem Roman, die Handlung um Theo wundervoll mir zahlreichen Details über Kunst und Literatur anzureichern. Allein deshalb ist es ein toller Lesegenuss. Darüber hinaus schildert sie mit einer vollen Farbpalette das menschliche Kuriositätenkabinett an Figuren rund um Theo. Von der neurotischen Mrs. Barbour (der Mutter von Theos Schulfreund Andy), die zauberhafte Pippa, die ebenfalls unter den Folgen der Explosion im Museum leidet, dem immer sanftmütigen Hobie, der durchgeknallten Xandra und natürlich seinem neuen besten und etwas durchgeknallten Freund Boris – die Charaktere und ihre Marotten sind alle sehr liebevoll gezeichnet. Und so spleenig sie zum Teil auch sein mögen, irgendwie mag man sie am Ende des Buches doch alle.

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