Thomas Mann und seine Werke begleiten mich seit der Oberschule, durch das Studium und selbst meine Magisterarbeit hat sich um die Buddenbrooks und den Zauberberg gedreht. Deshalb war ich natürlich sofort Feuer und Flamme, als ich gesehen habe, dass der irische Autor Colm Tobin in seinem neuen Buch „Der Zauberer“ die Lebensgeschichte von Mann als Roman aufgeschrieben hat!
Tobin muss dafür reichlich recherchiert und gelesen haben, um sich so intensiv und detailliert in dem Kosmos der Familie Mann auszukennen. Und das kann keine leichte Arbeit gewesen sein. Denn Thomas Mann ist nicht nur ein Zauberer, wenn es um das Schreiben ging, sondern auch um das Schweigen. Viele Informationen hat er nur seinen Tagebüchern anvertraut oder geschickt in seinen Geschichten versteckt. Ganz im Gegensatz zu seinen Kindern, die sowohl bei ihren politischen Einstellungen, als auch mit ihren sexuellen Neigungen sehr offen waren.
Der Zauberer – Colm Tobin schreibt eine zauberhafte Biografie über Thomas Mann
Colm Tobin schreibt von der Kindheit bis zum Tod des großen Autors. Dabei erfahren wir viel über die Dynamik innerhalb des Mann’schen Clans und von ihren Familienproblemen: Der Frust des Vaters, dass seine Söhne lieber Bücher schreiben, als die Firma zu übernehmen. Die Konkurrenz mit seinem großen Bruder Heinrich. Seinen Hang zu jungen Männern. Der Selbstmord der beiden Schwestern. Die Streitereien mit den Kindern.
Thomas Mann durchlebte geschichtsträchtige Zeiten in Deutschland: Den Ersten Weltkrieg, die Aufstände danach, den Aufstieg Hitlers und den Zweiten Weltkrieg, während dem die Manns nach Amerika flüchteten. Lange hat der Autor sich versucht aus der Politik rauszuhalten. Er wollte doch einfach nur seine Bücher schreiben. Aber schließlich hat er sich doch gegen Hitler geäußert und Stellung bezogen.
„Der Zauberer“ hatte für mich beim Lesen ein ganz besonderes Flair. Zum einen, weil Colm Tobin ein meisterhafter Erzähler ist und das Leben von Thomas Mann so spannend und gleichzeitig einfühlsam verpackt hat. Gleichzeitig merkt man aber auch eine Distanz. Von Thomas Mann zu seinen Kindern. Zur Politik. Der große Poet scheint immer etwas entrückt zu sein. Ein schlechtes Gespür für seine Umwelt zu haben. Und dann im Nachhinein zu bedauern, dass er die Dinge nicht vorher durchschaut hat. Ging es um seine Bücher, war er dagegen stringent und voll Leidenschaft. Auch Musik konnte ihn begeistern. Was für mich sehr interessant war, denn das war der Schwerpunkt meiner Magisterarbeit.
Für mich ist „Der Zauberer“ ein wirklich gelungenes Künstlerportrait! Auch wer Thomas Mann und sein Werk noch nicht kennt, kann hier perfekt in sein Leben abtauchen und das Buch als historisch-biografischen Roman lesen. Fast könnte man vor Faszination über Thomas Mann den eigentlichen Autor Colm Tobin vergessen. Tatsächlich war es mein erstes Buch von ihm. Seit Jahren liegt sein Roman „Porträt eines Meisters in mittleren Jahren“ über das Leben von Autor Henry James auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Es wird wohl dringen Zeit, dieses auch einmal in Angriff zu nehmen!