„Scheue Wesen“ von Clare Chambers hat mich sofort in seinen Bann gezogen und gehört definitiv zu meinen Sommer-Highlights. Der Roman war für mich ein echtes Wohlfühlbuch – einfach wunderbar.
Aber worum geht es? Die Geschichte beginnt 1964, als der verwahrloste William Tapping im Haus seiner kranken Tante entdeckt wird. William, der jahrelang von der Außenwelt abgeschottet war, wird zusammen mit seiner Tante in das psychiatrische Krankenhaus Westbury Park gebracht. Doch bald darauf stirbt die Tante, und die Krankenhausmitarbeiter stehen vor dem Rätsel, wer William wirklich ist. Der junge Mann spricht kein Wort und birgt ein Geheimnis.
Hier kommt Helen ins Spiel, eine engagierte Kunsttherapeutin, die William unter ihre Fittiche nimmt. Sie ist fasziniert von seinem Talent und seiner scheuen, geheimnisvollen Art. Mit jedem Pinselstrich dringt Helen tiefer in Williams Vergangenheit ein und entdeckt nach und nach die erschütternde Wahrheit, warum er so lange verborgen blieb.
Doch auch Helen trägt ihre eigenen Lasten. Sie ist in eine unglückliche Affäre mit Gil, einem verheirateten Arzt im Krankenhaus, verstrickt. Gil hat nicht nur beruflich, sondern auch privat einen starken Einfluss auf sie. Hinzu kommen Spannungen in ihrer Familie und die Sorge um ihre Nichte, die ebenfalls mit familiären Problemen zu kämpfen hat.
Scheue Wesen auf der Suche nach dem Happy End
Chambers’ Schreibstil ist gleichzeitig schlicht und tiefgründig, was ihre Charaktere unglaublich lebendig macht. Besonders William, mit seiner kindlichen Unschuld und Verletzlichkeit, hat mich sehr berührt. Die Autorin scheut sich nicht, schwierige Themen wie Kindesmissbrauch, berufliches Fehlverhalten und den Umgang mit psychischen Erkrankungen anzusprechen – und das auf eine sensible und realistische Weise.
Beim Lesen von „Scheue Wesen“ fühlte ich mich oft, als würde ich in eine kuschelige Decke gehüllt – so warm und geborgen ist die Atmosphäre, die Chambers schafft. Dennoch bleibt die Geschichte spannend und regt zum Nachdenken an. Sie zeigt, wie wichtig Mitgefühl und kleine Gesten der Freundlichkeit im Leben sind. Obwohl es auch dunkle Momente gibt, vermittelt das Buch vor allem eine Botschaft über Kontrolle, Macht und vor allem Heilung.
Besonders spannend fand ich auch das Detail, dass der Roman auf einer wahren Begebenheit basiert. Das verleiht der Geschichte von „Scheue Wesen“ eine zusätzliche Tiefe, die mich noch lange nach dem Lesen beschäftigt hat. Auch wenn Chambers der historischen Vorlage einen Twist gegeben hat und dem Leben ihres Protagonisten ein happy end gegönnt hat. Klar, das Ende des Buches war etwas sehr „heile Welt“. Aber darf es das nicht auf Mal sein?