Agatha Christie: Der Tod wartet

„Du siehst doch ein, dass sie sterben muss?“ – Zack! Gleich mit dem ersten Satz hat Agatha Christie mich wieder gefangen. Viel dramatischer kann ein Krimi ja fast gar nicht anfangen. Und schon fühlt man sich mitten in der Geschichte drin, belauscht mit Meisterdetektiv Hercule Poirot ein Gespräch durchs offene Fenster eines Hotelzimmers in Jerusalem. Was Poirot für eine Unterhaltung über ein Theaterstück oder eine Probe dessen hält – wird aber grausame Realität!

Der Tod wartet bzw. Appointment with Death im Original ist Agatha Christies 23. Kriminalroman und erschien bereit 1938. Zwischendurch erschien auch eine Übersetzung unter dem Titel Rendezvous mit einer Leiche. Inspiriert wurde Christie zu diesem Fall auf einer Reise mit ihrem Mann, Max Mallowan, auf der sie selbst Jerusalem und schließlich Petra, wo auch die weitere Handlung dieses Krimis stattfindet, besuchte. Petra – die rote Stadt, ein einsamer, fast mystischer Ort versteckt in einer Schlucht – der ideale Platz für einen Mord. Doch das Lokalkolorit spielt für Christie wie immer eher eine Nebenrolle, vielmehr geht es um die Psyche des Menschen und was ihn handeln lässt.

Und so verschwindet Poirot nach der kurzen Einführung in die Geschichte und wir lernen beim Lesen erst einmal die Familie Boynton kennen: Mrs Boynton und ihre Stiefkinder Lennox und dessen Frau Nadine, Raymond und Carol sowie die leibliche Tochter Ginevra. Die Familie und ihr merkwürdiges Verhalten bestimmen den ersten Teil der Handlung vollkommen. Denn die Boyntons sind keine normale Familie auf Reisen – nein, die Mutter unterjocht mit ihrer Person und Persönlichkeit die komplette Familie. Und so kann man ihre Person auch kaum treffender schildern, als der Buchrücken: „Sie ist eine äußerst unangenehme Person. Sie ist von monströser Gestalt. Sie war einst Gefängniswärterin. Sie tyrannisiert ihre Familie und die gesamte Reisegruppe. Ihr plötzlicher Tod ist eine Erleichterung für alle.“

Von dieser tyrannischen Mutter unterdrückt, sehnen sich die Boynton-Kinder endlich nach einem Leben in Freiheit. Die plötzlich Reise mit der Mutter in ein fremdes Land, umgeben von Menschen, von denen sie sonst so streng abgeschirmt waren, scheint teil eines perfiden Spiels zu sein, dass die Mutter betreibt. Das beobachten auch die junge Ärztin Sarah King udn Dr. Gerard, die der Familie ebenfalls in Jerusalem begegnen und angeregt über deren merkwürdiges Verhalten diskutieren.

Erst im zweiten Teil der Handlung kommt es schließlich zum Mord. Zuvor scheint die Geschichte eher eine psychologische Analyse zu sein, eine Charakterstudie und ein Zeichen davon, wie sehr sich Agatha Christie mit dieser damals noch jungen Wissenschaft (der Psychologie) schon auseinandersetzt. Aber beim Besuch von Petra ist es dann so weit: Mrs. Boynton ist tot. Und wie immer steht die große Frage im Raum: Wer ist der Täter? Ist wirklich eines der Kinder soweit gegangen und hat sich seiner (Stief-)Mutter entledigt? War es die genervte Schwiegertochter? Oder etwas doch jemand außerhalb der Familie? Sarah King vielleicht, die sich in den jungen Raymond Boynton verliebt hat? Alle scheinen ein Motiv zu haben. Das Rätsel kann wie immer nur durch Hercule Poirot gelöst werden. Und dann schwingt über allem noch die Frage: Ist es denn eigentlich wirklich so schlimm, dass die alte, grausame Dame tot ist? Könne man ihren Tod nicht einfach auf eine natürlich Ursache schieben? Oder wäre das gar zu unmoralisch?

Mich hat dieser Krimi von Agatha Christie unheimlich mitgerissen. Sie schreibt ja eh herrlich kurzweilig, aber natürlich sind manche Geschichten stärker und schwächer, können mehr mitreißen als andere. Der Tod wartet war für mich auf jeden Fall wieder eine ganz starke Story und hat mich beim Lesen unheimlich an Mord im Orientexpress erinnert (auf den auch in der Handlung angespielt wird). Wieder steht Hercule Poirot vor der Frage, ob er den Mord an einer „schrecklichen“ Person ignorieren soll oder nicht. Bei Mord im Orientexpress hat er dies durchgehen lassen. Hier wählt er einen anderen Ausweg für den Mörder – der für alle ganz überraschend kommt und auch für den Leser ein fulminantes Ende bedeutet! Ein super Krimi – der mich etliche Male auf den Holzweg geführt hat. Auf den wahren Mörder wäre ich nie gekommen!

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