„Nachleben“ ist nun schon das dritte Buch, das ich von Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah gelesen habe. Und ich muss sagen, für mich war es bisher das Beste.
Wie auch in seine Bücher „Das verlorene Paradies“ und „Ferne Gestade“ ist „Nachleben“ ein historischer Roman, der den Leser mit nach Ostafrika nimmt. Genauer gesagt nach Tansania, als es von den Deutschen und den Briten besetzt war. In einem kleinen Küstenstädtchen streifen sich die Schicksale von Hamza und Ilyas. Beide haben sich von der deutschen Schutztruppe als Askaris, eine Art Hilfssoldaten, anwerben lassen.
Statt ihr Land, ihre Familien und ihre Traditionen zu verteidigen, ziehen sie für die Besatzungsmacht in den Krieg. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich, wie auch ihre Erfahrungen mit den Deutschen. So wird Ilyas von einem deutschen Plantagenbesitzer auf deine deutsche Missionsschule geschickt, erhält Bildung und erlernt eine neue Sprache. Hamza dagegen wird von den Unteroffizieren schwer geschunden in der Grundausbildung, bis sich einer Oberleutnant seiner annimmt und ihm ebenfalls Deutsch beibringt.
Verbindungsglied zwischen beiden Männern ist Ilyas Schwester Afiya. Nach seiner Zeit bei dem Plantagenbesitzer macht sich Ilias auf die Suche nach ihr, nimmt sie auf und die beiden leben eine Zeit gemeinsam, bevor der junge Mann sich in die Armee einziehen lässt. Afiya bleibt bei Freunden zurück. Ihr Bruder bleibt nach dem Krieg verschollen. Aber stattdessen findet Hamza seinen Weg in das Städtchen und die beiden kommen sich näher.
In „Nachleben“ schildert Gurnah die Zerrissenheit seiner Figuren
Mithilfe dieser drei Hauptcharaktere gelingt es Gurnah, einen weiten geschichtlichen Bogen zu spannen. Mit viel Liebe zum Detail und einem leicht distanzierten, aber dennoch sanften Ton kreiert er eine ganz besondere Stimmung beim Lesen. Dabei fühlt man die Spannungen zwischen den Einwohnern und den Besetzern sowie zwischen Heimatlosigkeit und Zugehörigkeit der Figuren. Die Brutalität einiger Deutschen steht die Sanftheit anderer gegenüber.
Wenn mich jemand fragen würde, mit welchem Buch von Gurnah man anfangen sollte, würde ich „Nachleben“ sofort empfehlen. Denn „Das verlorene Paradies“ hat vielleicht zu viele biblische Bezüge. „Ferne Gestade“ hat sehr komplexe Rückblicke und eine – für mich – unnötige Rahmenhandlung. Aber bei „Nachleben“ ist man sofort in der Geschichte drin. Man wird hineingezogen in den Kosmos, den Gurnah aufspannt und lernt die Charaktere kennen und lieben.
Mein einziger Kritikpunkt wäre das Ende. Nachdem Gurnah sich in „Nachleben“ lange Zeit gelassen hat, die Geschichte zu entfalten, wirkte der Schluss dann etwas ruckartig und abrupt, als ob die Charaktere selbst schnell wissen wollen würden, wie ihr Schicksal endet.
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