Wie später ihre Kinder

Nicolas Mathieu: Wie später ihre Kinder

Frankreich in den 90er Jahren: Anthony und Hacine wachsen in einer kleinen Stadt im Osten Frankreichs auf. Wirtschaftlich steht die Region nicht gerade in der Blüte. Fabriken wurden stillgelegt und ein großer Teil der Bevölkerung hat mit Arbeitslosigkeit und Armut zu kämpfen. Hinzu kommen Alkohol- und Drogenprobleme.

Der Roman ist in mehrere Zeitabschnitte unterteilt und springt von Sommer zu Sommer, allerdings in einem zweijahres Rhythmus. Zu Beginn im Jahr 1992 sind Anthony und Hacine 14 Jahre alt. Sie langweilen sich schrecklich, es sind Ferien, es ist sauheiß und es gibt nichts zu tun. Nur Alkohol und Drogen machen diese trostlose Lage für die Jungs erträglich. Das ist schon sehr bitter.

Ein Sommer, der alles verändert

Als Hacine auf einer Party das Motorrad von Anthonys Vater klaut, werden die beiden zu Erzfeinden. Denn Anthony hat das Motorrad heimlich aus der Garage entwendet. Er hat Angst, dass sein stets betrunkener und aggressiver Vater das Verschwinden bemerkt. Anthonys Mutter bittet darum Hacines Vater, sein Sohn möge das Motorrad zurückgeben. Allerdings endet das für Hacine böse. Nach einer ordentlichen Tracht Prügel, schickt der Vater Hacine zurück nach Marokko. Auch für Anthony verändert dieser Sommer alles. Er und seine Mutter verlassen den Vater, der es nicht schafft seine Sucht in den Griff zu bekommen.

Hacine und Anthony hassen sich seit diesem Vorfall unendlich. Doch sie sind sich ähnlicher als sie denken. Ihr größtes Ziel ist es, ihre Heimatstadt zu verlassen und bloß nicht so ein elendes und todlangweilige Leben zu führen wie ihre Eltern. Hacine kehrt nach zwei Jahren aus Marokko zurück und will als Drogendealer reich werden. Anthony, der Anfangs pickelig und pummelig war, ist zur Sportskanone mutiert. Um endlich wegzukommen, geht er zum Militär.

Wie ihre Väter

4 Jahre später, also 1998, sind beide wieder in ihrem Heimatort gestrandet. Sie verdienen als einfache Arbeiter wenig Geld und können sich gerade so das Nötigste leisten. Hacine hat obendrein eine Frau und ein Kind, fühlt sich allerdings in dieser neuen Rolle sichtlich unwohl. Anthony wartet immernoch etwas hilflos und trostlos auf die große Liebe. Tja… wie später ihre Kinder! Der Titel passt einfach wie die Faust aufs Auge.

Der Roman hat mich mit seiner Stimmung, dem Auf und Ab von Hoffnung und Verzweiflung, gepackt! Ich konnte richtig diese flirrende Sommerhitze spüren, dieses Gefühl, dass jeder etwas erleben will, aber einfach nichts passiert. Grenzenlose Monotonie, die durch Drogen betäubt werden muss. Und dann doch ein Funke Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ändern wird und das Leben besser sein wird. Am Ende schleicht sich die traurige Gewissheit ein, dass dieser Traum geplatzt ist. Das ist das Schicksal der Menschen aus der Unterschicht. Wie zum Beweis gibt es im Roman noch zwei Mädchen aus gut betuchten Häusern, die natürlich super Noten in der Schule haben und dann zum Studium in die große weite Welt hinausgehen und Karriere machen.

Vollste Leseempfehlung

Der Roman ist schonungslos und radikal geschrieben und, ich glaube, genau deswegen hat er mich so fasziniert. Es ist wie bei einem Autounfall. Die Ereignisse sind schrecklich, aber ich kann einfach nicht wegsehen. Als Leser identifiziere ich mich nicht mit den Figuren, da ich nichts mit ihnen gemein habe, sondern spüre eher Mitleid und Besorgnis.

Die deutsche Übersetzung ist jetzt im August neu erschienen und ich kann den Roman wirklich sehr empfehlen! Ich hatte das Buch zuerst gar nicht entdeckt, sondern von meinem Mann zum Geburtstag geschenkt bekommen. Er hat einen Beitrag in ttt – titel, thesen, temperate – darüber gesehen und sich gedacht, das könnte mich interessieren 🙂 Den TV-Beitrag habe ich euch hier nochmal verlinkt.

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