Es geht endlich weiter bei mir mit der Welt von Shakespeare! „Hag-Seed“ oder auf Deutsch „Hexensaat“ gehört zur neuen Hogarth Shakespeare Reihe. Es geht darum, dass bekannte zeitgenössische Autoren Werke von Shakespeare neu adaptieren. In „Hag-Seed – The Tempest retold“ nimmt sich die kanadische Autorin Margaret Atwood den Stoff des Theaterstücks „The Tempest“ (Deutsch: Der Sturm) von William Shakespeare vor.
Ein Sturm zieht auf
In „The Tempest“ geht es um Prospero, den Herzog von Mailand mit magischen Kräften. Er wurde vor 12 Jahren zusammen mit seiner Tochter Miranda von seinem Bruder Antonio auf eine Insel verbannt, weil Antonio die Herrschaft über Mailand an sich reißen wollte. Nun bekommt Prospero endlich die Gelegenheit zur Rache. Antonio befindet sich zusammen mit Alonso, dem König von Neapel, dessen Sohn Ferdinand und dessen Bruder Sebastian auf einem Schiff. Prospero lässt durch einen heftigen Sturm das Schiff kentern und die Insassen auf seiner Insel anschwemmen. Nun kann er durch seine Zauberkraft und mithilfe seines Luftgeistes Ariel Rache üben. Am Ende verzeiht er Antonio und Alonso jedoch und holt sich sein Herzogtum zurück.
Gefangen – im Knast oder auf einer Insel
Margaret Atwood verlegt nun ganz raffiniert das Setting in ein kanadisches Gefängnis im Hier und Jetzt. Die Hauptfigur, analog zu Prospero, ist Felix Philipps, ein ehemaliger, sehr bekannter Theaterregisseur. Er wurde von seiner rechten Hand Tony vom Thron gestoßen, nachdem er privat einen sehr harten Schicksalsschlag zu verkraften hatte. Seine Frau und seine 3-jährige Tochter Miranda sind beide gestorben. Felix verkriecht sich daraufhin in einer Waldhütte und schmiedet Rachepläne. Zufällig nimmt er einen kleinen Job an: In einem nahegelegenen Gefängnis gibt er den Insassen Literatur- und Theaterkurse. Sein Programm ist sehr erfolgreich. Einmal im Jahr inszeniert er mit den Insassen ein Theaterstück von Shakespeare.
Nach zwölf Jahren ist der Zeitpunkt für seine Rache gekommen. Tony und Sal, die damals seine Karriere zerstört haben, sind mittlerweile in die Politik aufgestiegen. In dieser Funktion wollen sie dem Gefängnis und dem mittlerweile landesweit bekannten Literatur- und Theaterkurs einen Besuch abstatten. Sie ahnen nicht, dass Felix der Kursleiter ist. Er inszeniert „The Tempest“ als live happening und bindet die Besucher in die Performance der „Schauspieler“ mit ein. Ganz ungefährlich ist das nicht, denn er setzt sie dabei auch leicht unter Drogen und sperrt sie in Zellen ein. So werden Sal und Tony zu Antonio und Alonso. Felix tritt als Prospero auf und führt ihnen vor Augen, was sie ihm angetan haben und fordert seine alte Stelle als Leiter eines Theaterfestivals zurück.
Raffinierte Parallelen
Auf diese Weise überträgt Margaret Atwood den Stoff von Shakespeare in ihre eigene Version und zeigt dabei, dass die Themen die Shakespeare in seinen Stücken aufgreift immer aktuell und auf jede Lebenslage übertragbar sind. Letztendlich identifizieren sich die kleinkriminellen Gefängnisinsassen mit den Charakteren aus dem Theaterstück. Margaret Atwood geht über das Ende des Stückes sogar noch hinaus und lässt die Verbrecher erzählen, wie die Geschichte von Prospero und Co weitergeht. Das finde ich sehr raffiniert.
Ich freue mich schon darauf, die nächsten Bücher aus der Hogarth Shakespeare Reihe zu lesen. Das war jetzt das dritte, das ich nach „Vinegar Girl“ („Die störrische Braut“) von Anne Tyler und „Dunbar“ von Edward St. Aubyn gelesen habe und bisher haben mich alle Bücher total überzeugt!