Heute vor 50 Jahren starb der amerikanische Schriftsteller John Roderigo Dos Passos. Ein passender Anlass für einen neuen Lesetipp finden wir. Denn schließlich gilt Dos Passos neben Hemingway, Faulkner und Fitzgerald als einer der Hauptvertreter der amerikanischen Moderne. Und der Rowohlt Verlag hat vor kurzem erst die „USA-Triologie“ in neuer Übersetzung herausgegeben.
Eckdaten zum Autor:
Dos Passos wurde 1896 in Chicago geboren. Nachdem sein Privatlehrer ihn für ein halbes Jahr nach Europa mitnahm um die dortige Kunst und Architektur zu studieren, schrieb er sich anschließend in der Harvard Universität ein, um beide Fächer weiter zu studieren. Bei Eintritt des Ersten Weltkriegs befand Dos Passos sich in Spanien und meldete sich dort als Krankenwagenfahrer. 1918 wurde er schließlich eingezogen und zählte zu den Sanitätstruppen der US-Armee. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitete er in dem Roman Neunzehnhundertneunzehn.
Sein 1925 erschienener Roman Manhattan Transfer wiederum zählt neben Berlin Alexanderplatz und Ulysses als einer der wichtigsten Großstadtromane der literarischen Moderne, in der er sich der Stream-of-Consciousness-Technik bediente.
Insgesamt verfasste er 42 Romane sowie zahlreiche Gedichte, Essays und Theaterstücke und malte über 400 Gemälde. Von 1942 bis 1945 arbeitete Dos Passos als Journalist im Zweiten Weltkrieg. Er starb 1970 in Baltimore.
Wichtigste und bekannteste Werke:
- Manhattan Transfer, 1925
- USA
- Der 42. Breitengrad, 1930
- 1919, 1932
- Das große Geld, 1936
- Amerikanische Potraitsm 1985
- Jahrhundertmitte, 1963
Inhalt:
Aber in den Geschichten seiner Mutter, die von Vorlangerzeit erzählte, in den Geschichten seines Vaters von damals, als ich noch ein Junge war, in den Veralberungen seiner Onkel, in den Lügen, die seine Freunde in der Schule auftischten, in dem Garn das der Handlanger spann, in den Aufschneidereien der Soldaten nach dem Zapfenstreich; war es das gesprochene Wort, das sich an die Ohren heftete und mit dem Kribbeln im Blut verband; USA […] Vor allem aber ist USA das gesprochene Wort der Menschen
Dieses Zitat aus dem Epilog der USA-Triologie stellt einen schon etwas darauf ein, was in den nächsten 1.600 Seiten auf den Leser zukommt: Geschichten und Geschichte, das gesprochene aber auch das geschriebene Wort spielen eine große Rolle in John Dos Passos‘ Romanen. Obwohl das Buch aus drei einzelnen Romanen besteht (Der 42. Breitengrad, 1919 und Das große Geld) muss es dennoch als ein Ganzes gelesen werden. Was oft gar nicht so einfach ist. Denn der Autor bedient sich hier der Montage-Methode, verschlingt verschiedene Geschichten, Erzählstränge und fiktive Figuren mit dem Schicksal realer Personen, historischen Begebenheiten und Zeitungsartikeln.
Dabei versucht Dos Passos quasi einen Abriss der USA in allen ihren Facetten und Farben abzubilden. Seine Figuren stammen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Orten. Allerdings verschlingt Dos Passos die Handlungen rund um seine Figuren sehr kompliziert. Oft tauchen sie hunderte Seiten lang nicht wieder auf, nur um dann an anderer Stelle auf eine weitere Figur in deren „Haupthandlung“ zu treffen. Dadurch entsteht ein komplexes Gebilde des Romans, dass man geduldig versuchen muss beim Lesen in seiner Ganzheit aufzugreifen. Hier trifft die verarmte Schauspielerin auf den Wanderarbeiter Fainy MCCreary; wir lernen den Journalisten und Lobbyisten Ward Moorehouse kennen genausp wie die Kunststudentin Eleanor Stoddard. Ihre Geschichten bilden den Hauptteil der Bücher. Ein buntes Potpourrie an Menschen, die einen Querschnitt der Gesellschaft zwischen 1900 und 1930 abzeichnen sollen.
Daneben finden sich knapp und sachliche Ausschnitte berühmter Persönlichkeiten, die die damalige Zeit prägten, wie zum Beispiel Henry Ford, Thomas Edison oder Woodrow Wilson. Auf der dritte Erzählebene, den sogenannten Wochenschauen, sammelt Dos Passos Zeitungsartikel, Gedichte, Texte von bekannten Liedern. Und integriert so das Setting des geschriebenen und gesprochenen / gesungenen Wortes der damaligen Zeit. Und zuletzt kommen die Textteile mit dem Titel „Das Auge der Kamera“, die einen Einblick in die Gedanken und das Leben des Autors geben. Es sind Erinnerungen an Dos Passos‘ Leben, seine Kindheit, sein Studium oder seinen Einsatz im Krieg. So wird der Autor und sein Leben selbst Teil seines Querschnitts durch das Leben in den USA.
Unsere Meinung:
Dos Passos USA-Triologie ist definitiv eine kleine Herausforderung für den Leser. Es erschlägt einen etwas sowohl vom Umfang als auch vom Schreibstil her und fordert seinen Lesern einiges ab. Die Geschichten sind oft verworren. Verschiedene Ebenen wechseln sich permanent ab. Figuren tauchen in den Wirren des Geschehens auf und ab. Man muss also permanent wach und auf der Hut bleiben. Sonst verliert man sich schnell in der Erzählung und verliert den Spaß.
Ich gebe gerne zu, dass auch ich etwas daran zu knabbern hatte und lange für die Lektüre gebraucht habe. Manchmal war ich auch enttäuscht, weil ich mich dann so mit einer der Figuren „angefreundet“ hatte und sie dann quasi wieder aus den Augen verloren habe. Ich denke auch, dass man dieses Werk nach einem Mal lesen nicht wirklich fassen kann. Es gibt so viele unterschiedliche Facetten, Aspekte etc. Hier würde sich eine zweite oder sogar dritte Lektüre definitiv lohnen. Ich habe auch gelesen, dass Stefan Härtel von Booksterhro zum Beispiel die verschiedenen „Ebenen“ alle einzeln gelesen hat und das Buch nicht stringent von Seite 1 bis zum Schluss. Das wäre sicherlich auch noch einmal spannend und könnte mehr Überblick verschaffen.
Durch das bunte Kaleidoskop von Dos Passos betrachtet erhält man so viele verschiedene Eindrücke in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ – und das dieses Bild der USA leider doch oft mehr Lug und Trug ist, die Menschen nicht immer ihren Traum vom Tellerwäscher zum Millionär verwirklichen. Auch schon vor 100 Jahren war die Gesellschaft in den USA gespalten, zwischen arm und reich, Mann und Frau, Schwarz und Weiß. Und zeigt damit, dass der Konflikt dieser Nation viel tiefer sitz, als viele manche vielleicht heute denken. Oder wie Dos Passos selbst eine seiner Figuren es sagen lässt:
„Eine kleine Kostprobe aus der Kloake des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten“, sagte Gus Moskowski
Was mich beim Lesen oft etwas aufregte, war allerdings die Darstellung der Frauen in den Geschichten. Die wenigsten sind wirklich emanzipiert – vielleicht etwas zu viel gewollt von einem Roman der ca. 1930 vollendet wurde. Aber dennoch ist es mir übel aufgestoßen, wie die Frauen hier einfach oft nur „dumme Hühner“ und Lustobjekte für Männer sind. Hier nur ein Beispiel:
„Ach George, du hast doch noch reichlich Zeit… Ich weiß nicht, warum mir vor dem Heiraten graut… Heute Abend graut mir vor allem,“ „Meine arme Kleine, wahrscheinlich kündigt sich deine Regel an“, sagte George und küsste sie auf die Stirn.
Welche Frau hört das nicht gerne? Klar ist immer unsere Periode an unseren Launen schuld… Sie zählen den Männern hier nur als nette Ablenkung. Wirklich ernst meint es keiner mit ihnen, wenn sie schwanger werden, sind sie nervig. Wenn sie heiraten wollen, noch mehr. Selbst die toughe Schauspielerin Margo, die sich gegen ihren Stiefvater zur Wehr setzt, nachdem er sie vergewaltigt, endet in einer krassen Abhängigkeit zu ihrem Mann, der tatsächlich schwul ist, sie nur ausnutzt und sie beklaut. Aus der heutigen modernen Perspektive fällt es wirklich schwer, dieses Frauenbild zu akzeptieren. Aber leider war es damals wahrscheinlich einfach wirklich Fakt.
Fazit für mich: Irgendwann muss ich die USA-Triologie noch einmal lesen. Mich hat es ein bisschen an die schwere Kost des Zauberbergs von Thomas Mann erinnert, der sich einem auch erst nach mehrmaligem Lesen erschließt. Und ich denke, dass dies hier ähnlich ist. Das man ein wirklich fabelhaftes Buch in den Händen hält, wenn man sich Zeit nimmt und sich wirklich darauf einlassen kann.