Vor kurzem habe ich im Buchladen meines Vertrauens ein kleines, gelbes Büchlein aus dem Aufbau Verlag entdeckt und war sofort angetan von der hübschen Optik des Bandes. Da ich schon immer mal etwas von Henry James lesen wollte, die kurze Novelle über „Eine Dame von Welt“ ein perfekter Einstieg. Denn Geschichte umfasst nur knapp 130 Seiten – also ein super Start in die Literatur von Henry James. So kann man sich schnell einen ersten Eindruck machen, ob der Stil von James etwas für einen ist – und dann nach weiterer Lektüre schauen. Denn der amerikanisch-britische Autor hat immerhin 20 Romane, 112 Novellen, 12 Dramen und noch einiges an Reiseliteratur und Kritiken hinterlassen.
Da es sich, wie schon gesagt, um eine kurze Novelle handelt, ist der Plot schnell erzählt:
Mr. Littlemore, ein reicher Amerikaner, ist mit seinem Freund, dem Diplomaten Waterville, in einem Pariser Theater, wenn sein Freund eine wunderschöne Dame im Publikum entdeckt. Schnell stellt sich raus, dass es sich bei der Dame um Mrs. Headway handelt, eine alte Bekannte Littlemores aus den USA. Wie Littlemore und Headway genau zueinander standen, wird nie ganz klar, aber die Dame hatte in den USA wohl einen gewissen Ruf. Sie soll vier oder fünf Mal verheiratet gewesen sein, hat sich ständig scheiden lassen und hatte es daher schwer in der High Society in der Neuen Welt weiter Fuß zu fassen. Nun ist die Dame in die alte Welt gereist, um dort in die Upper Class eingeführt zu werden und sich einen Namen zu machen.
Dabei wird schnell deutlich, dass die nicht mehr ganz so junge Dame ganz genau weiß, wie sie ihren Charme einzusetzen hat. Aber mit ihrer amerikanischen Direktheit eckt Mrs. Headway auch bei vielen an, besonders natürlich bei den feinen Damen der höheren Gesellschaft.
Dank der klaren Sprache von Henry James ist die Geschichte schnell weggelesen. Was eigentlich fast zu schade ist, denn ich hab es sehr genossen, wie Mrs. Headway sich ihren Weg nach oben erkämpft. Viele Kritiken, die ich online gelesen habe sprechen bei dieser Novelle eher davon, dass Henry James ein Gegenstück zu seinem Roman Daisy Miller geschaffen hat. Oder dass vor allem um den Unterschied zwischen der Neuen und der Alten Welt geht. Sicherlich keine falsche Punkte (auch wenn ich Daisy Miller noch nicht gelesen habe, konnte man das auch gleich aus dem Nachwort von Alexander Pechmann entnehmen).
Für mich war es aber eher spannend, wie unterschiedlich Henry James hier die Rollen der Männer und Frauen abzeichnet. Mrs. Headway ist zielstrebig, kokett, sicherlich in gewisserweise egoistisch, aber will sich vor allem einen angemessenen Platz in der Gesellschaft erkämpfen. Quasi die „Karriereleiter“ der Frauen in der damaligen Zeit erklimmen. Die Männer hingegen stellen sich ganz anders da. Alle sind sie wohlhabend! Aber dafür tun müssen sie nichts!
Mr. Littlemore kommt durch Glück an eine Silbermine und kauft eine Rinderfarm, kümmert sich aber um beides nicht selbst, reist durch Europa, ist am liebsten faul und sitzt in Cafés. Sein Freund Mr. Waterville ist zwar Diplomat – aber dafür überhaupt nicht diplomatischen in seinem Verhalten. Auch er lässt sich von Mrs Headway um den Finger wickeln, macht den Mund nicht auf, wenn er sie diskreditieren könnte und ärgert sich, wenn sie damit durchkommt. Und letztlich ist da noch Sir Arthur Demesne, der aktuelle Verehrer von Mrs. Headway. Er ist quasi von Beruf Sohn, wird von seiner Mutter verhätschelt, erbt ein Vermögen und schafft es kaum zu Wort zu kommen in der ganzen Erzählung. Und das, obwohl er mehrere Gelegenheiten hätte Littlemore und Waterville nach der Vergangenheit seiner Angebeteten auszufragen.
Aber alles was die Gesellschaft interessiert ist nur, ob eine Frau „ehrbar“ ist. Das ist das einzige was zählt, wenn die Herren der Schöpfung nach Mrs. Headway gefragt werden. Das diese Dame von Welt aber gebildet, kultiviert, freidenkend, zielstrebig und charakterstark ist, interessiert niemanden. Denn das ist schließlich nicht die Norm und wird nicht gewollt.
Dafür, dass Henry James seine Novelle 1883 schrieb, finde ich das diese Schilderung von Mrs. Headway fast schon zukunftsweisend. Heutzutage würde man solch eine Frau, die nur auf der Suche nach einem reichen Mann ist, sicherlich mit anderen Augen sehen. Aber was bliebt den Damen zur damaligen Zeit schon übrig, als sich gut zu verheiraten und so ihre soziale Stellung zu sichern?
Mir hat es auf jeden Fall viel Spaß gemacht, den Weg von Nancy Headway mit zu verfolgen und das wird sicherlich nicht mein letztes Buch von Henry James gewesen sein!
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