Ich kann mich noch sehr gut dran erinnern: In der Uni hieĂ es von den Profs in den Englisch-Seminaren immer wieder: Walden von Thoreau – das ist ein Muss! Ein absoluter Klassiker! Sollte jeder Literaturstudent gelesen haben! Trotzdem habe ich mein Studium auch ganz ohne Walden geschafft đ Aber nun wollte ich diese BildungslĂŒcke endlich schlieĂen.
Erst einmal muss man sich bei Walden von der Vorstellung eines klassischen Romans verabschieden. Es gibt keine durchgehende Handlung mit fiktiven Charakteren. Stattdessen sind es eher TagebucheintrĂ€ge und notierte Gedanken von Thoreau. Denn der Autor hat hier seine eigenen Erlebnisse niedergeschrieben, als er sich im Jahr 1845 fĂŒr drei Jahre in eine einsame HĂŒtte in den WĂ€ldern von Concord, Massachusetts von der AuĂenwelt zurĂŒckgezogen hat.
Als ich die folgenden Seiten schrieb, oder jedenfalls den gröĂeren Teil, lebte ich einsam in den WĂ€ldern, eine Meile von jedem Nachbarn entfernt. Ich wohnte in einem Hause, das ich mir selbst am Ufer des Waldensees in Concord, Massachusetts, gebaut hatte, und erhielt mich nur von meiner HĂ€nde Arbeit.
Thoreau berichtet hier ĂŒber ganz praktisches, zum Beispiel wie er sich wirklich selbst seine HĂŒtte baute, fĂŒr Essen sorgte, Getreide anbaute und um Saatpreise feilschte. Andererseits sind seine Gedanken auch sehr philosophischer Natur. So dreht sich natĂŒrlich viel um den Umgang des Menschen mit der Natur. Aber auch um den Materialismus der Menschen, seine Gier nach mehr immer mehr, obwohl man doch mit so wenig – wie Thoreau ja selbst bewiesen hat – auskommen kann und trotzdem glĂŒcklich ist.
Mit diesen GedankengĂ€ngen wurde Thoreau zu einem der bekanntesten Vertreter des amerikanischen Transzendentalismus. Auch fĂŒr die marxistische Bewegung und die 68er-Generation galt er als Vorbild. Und sogar fĂŒr Mahatma Gandhi berief sich bei seinem gewaltfreien Widerstand auf Thoreau und seine asketische Lebensweise.
TatsÀchlich fand ich einige Stellen auch wirklich toll zu lesen, wie zum Beispiel folgendes Zitat aus dem Fazit:
Warum jagen wir so verzweifelt nach Erfolg und aussichtslosen Unternehmungen? Wer nicht mit seinen GefÀhrten Schritt hÀlt, hört vielleicht einen anderen Trommler. Laà ihn nur nach der Musik marschieren, die er hört, welchen Takt sie haben mag und wie fern sie ist.
Das sind Aussagen, die auch heute noch absolut gĂŒltig sind und den Zahn der Zeit absolut treffen. In dieser Zeit, in der die Leute sich mit jedem Instagram-Foto gegenseitig ĂŒbertrumpfen wollen und alles gröĂer, schöner, weiter oder teurer sein muss! Auch persönlich kann ich mich damit unheimlich gut identifizieren. Denn ich versuche immer nach dem Motto „Leben und leben lassen“ zu leben und zu handeln. Warum sind wir nicht ĂŒber die Dinge froh, die wir haben? GenieĂen unser Leben so wie es ist? Warum vergleicht man sich immer mit anderen? Weshalb genĂŒgen wir uns selbst nicht mehr? Das sind alles
Wenn Thoreau dann aber von diesem Punkt aus soweit geht, zu sagen, dass es den Armen ja quasi am besten gehen wĂŒrde, weil sie nichts haben und man diese Armut zelebrieren sollte, geht mir das ganze allerdings etwas zu weit:
Pflegt die Armut wie eine Gartenpflanze gleich den Weisen.
Das ist fĂŒr mich dann doch eindeutig etwas ĂŒber das Ziel hinausgeschossen. Und bis Thoreau endlich an diesem Punkt ankommt mit dem schönen Fazit, muss man sich tatsĂ€chlich durch etliche Seiten der Gartenarbeit, des Hausbaus, des Fischens etc. durchschlagen. Scheinbar fast unendlich beschreibt er diese VorgĂ€nge. Da muss man als Leser wirklich einen langen Atmen haben, um zwischen diesen ewig andauernden und – fĂŒr mein Empfinden – fruchtbar drögen Schilderungen die wirklich spannenden Erkenntnisse Thoreaus herauszulesen. Da wird sich viel lĂ€nger damit aufgehalten alle BĂ€ume, StrĂ€ucher und die Wassertemperatur zu vergleichen, beschreiben und bewerten, als dass es wirklich um etwas aussagekrĂ€ftiges geht!
FĂŒr meinen Geschmack war das tatsĂ€chlich zu viel des Guten. Ich musste wirklich kĂ€mpfen, um das Buch nicht doch abzubrechen und wieder in den Schrank zu stellen. Mal abgesehen davon, dass mir irgendwann auch der „Ton“ etwas auf die Nerven ging. So als ob nur Thoreau ein wirklich wahres Leben gelebt hĂ€tte. Im Gegensatz zu allen anderen, die sich eben nicht in einem Wald verkriechen. Walden ist daher definitiv nur etwas fĂŒr absolute Liebhaber der klassischen Literatur.