Bereits 2016 erschien Aravind Adigas dritter Roman Golden Boy. Doch jetzt hat der dtv Verlag das Buch neu herausgegeben, denn der Streaming-Gigant Netflix hat die Geschichte in einer neuen Serie mit bisher sechs Folgen umgesetzt. Grund genug auch für mich, diesen Roman von Adiga unter die Lupe zu nehmen, bevor ich die Netflix-Serie gucke. Adigas Debut „Weisser Tiger“ hatte mich total begeistern können. Und auch sein Roman „Letzter Mann im Turm“ mochte ich sehr. Das spielte in die Auswahl natürlich auch mit hinein.
In Golden Boy erzählt Adiga die Geschichte der Brüder Radha und Manju. Sie wachsen in einem Slum von Mumbai bei ihrem Vater auf. Die Mutter ist aus ihrem Leben verschwunden. Und der spleenige Vater versucht alles, um aus seinen Söhnen Cricket-Stars zu machen – und ihnen allen so ein besseres Leben zu ermöglichen. Denn Indien kennt nur zwei Religionen: Kino und Cricket.
Und so regiert das Cricket auch das gesamte Buch. Wir lernen hier ehrgeizige Jungen kennen, die alles dafür tun, um in die Mannschaft zu kommen. Talent-Scouts, die seit Jahrzehnten immer noch nach dem einen, perfekten Spieler suchen und ihr Leben dafür geopfert haben. Korrupte Geschäftsleute, die die Jungen Spieler sponsorn und so auf den eigenen Geldregen hoffen. Und verrückte Väter, die alles tun, damit ihre Söhne zum neuen Cricket-Star werden und in die Nationalmannschaft kommen.
In Mitten dieser verrückt-quirligen Kulisse stehen Radha und Manju – und suchen ihren Platz im Leben. Der ältere Radha zählt als der Auserwählte, Gott hat ihn dazu bestimmt in die Mannschaft zu kommen. Aber Manju beweist schließlich, dass er mehr Talent hat und bekommt ein Stipendium, um sechs in England – dem Mutterland des Crickets – zu trainieren. Das kommt für Radha und dem Vater fast eines Verrats an der Familie gleich. Das Gefüge der Familie scheint dadurch vollkommen aus dem Gleichgewicht zu fallen. Noch mehr, als bei Radha eine Technik-Schwäche erkannt wird, die er nicht zu überwinden scheinen könnt. Das ist für den Jungen, der in seinem Leben nichts anderes hat außer das Cricket spielen einem Todesurteil.
Manju ist dagegen nicht nur unheimlich begabt im Cricket. Sondern interessiert sich auch für Wissenschaft. Möchte am liebsten Forensiker werden. Zur Uni gehen. Ein normales Leben führen. Und wie bei allen Teenagern kribbeln in ihm auch die Gefühle der ersten Verliebtheit. Denn da ist Javed Ansari, ein reicher Moslem, der auch noch der größte Konkurrent der beiden Brüder auf dem Cricketfeld ist. Aber von dem sich Manju auch magisch angezogen fühlt…
Auch wenn Cricket also zunächst wie das wichtigste Thema in Aravind Adigas Roman wirkt, geht es eigentlich vielmehr um das traurige Schicksal der beiden Jungen, die an eben jenem Spiel zu zerbrechen drohen. Sie können das Spiel gar nicht lieben, da es ihnen von der Gesellschaft, vor allem von ihrem Vater, aufgezwungen wird. Bei Manju entwickelt es sich sogar soweit, dass sein Hass auf das Spiel ihn die Bälle noch härter und weiter schlagen lässt.
Golden Boy ist eine traurige und gleichzeitig urkomische Geschichte. Da das Schicksal von Radha und Manju so sehr von Verzicht, Unterdrückung, Fremdbestimmung und Einsamkeit geprägt ist. Trotzdem zeichnet Aravind Adiga wie gewohnt skurril-witzige Figuren in seinem Roman und das Leben im quirligen Mumbai, das auch in seinen anderen Geschichte so sehr zum Tragen kommt. Obwohl ich die Geschichte im Großen und Ganzen sehr gerne gelesen habe, fehlte mir aber doch die Brillianz von Aravind Adigas ersten Buch Weisser Tiger, dass mich damals so sehr gepackt hat. Und vielleicht waren es an mancher Stelle etwas zu viele Cricket-Beschreibungen. Trotzdem war Golden Boy ein schönes Buch und ich freue mich jetzt schon darauf, die Serie auf Netflix zu gucken und mit Adigas Geschichte zu vergleichen.