Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern

Der Titel ist Programm! Fünf Schwestern – Cecilia (13), Lux (14), Bonnie (15), Mary (16) und Therese Lisbon(17) – nehmen sich alle im Laufe eines Jahres das Leben. Der Kreislauf beginnt mit der Jüngsten, Cecilia. Nach einem ersten gescheiterten Selbstmordversuch, schafft sie es im zweiten Anlauf. Die gesamte Stadt ist davon geschockt. Die Leute reden sich ein, dass Cecilia nicht normal war. Ihre Schwestern werden ab diesem Zeitpunkt von allen wie Sonderfälle behandelt und von allen beobachtet. Die Jungs finden sie anziehend und attraktiv und würden sie gerne besser kennenlernen. Aber die Mädchen wirken unnahbar. Sie werden als Außenseiter dargestellt, die keine anderen Freundinnen haben und sich immer nur als Geschwister-Clique zeigen.

Keiner weiß etwas über sie und keiner weiß, wie es ihnen nach dem Tod der jüngsten Schwester geht. Die Eltern sind mit der Situation völlig überfordert. Die Mutter denkt, dass sie nur mit einer strengen christlichen Erziehung ihre Töchter unter Kontrolle bringen kann. Nur einmal lässt sie die vier Mädchen zum Schulball gehen. Das ist so ziemlich das einzige Mal, dass die Mädchen Spaß haben. Als Lux jedoch zu spät und betrunken nach Hause kommt, greift die Mutter hart durch. Damit ihre Töchter nicht weiter „verderben“, nimmt sie alle aus der Schule und sperrt sie quasi zu Hause ein. Monatelang verlassen sie ihr Haus kaum noch und haben keinen Kontakt zu Gleichaltrigen. Die Mädchen sind sich selbst und der Langeweile überlassen. Nach einigen Monaten endet es eben damit, dass sich alle gleichzeitig umbringen. Kein Erwachsener versucht, sie davon abzuhalten. Bei der Frage nach dem Warum, taucht immer wieder auf, ob die Mädchen einen Pakt geschlossen haben. Fest steht jedoch nur, dass sie nicht die Möglichkeit hatten, sich frei zu entfalten und sich aus diesem Käfig zu befreien und ihrem Leben einen Sinn zu geben.
 
Leser und Beobachter tappen im Dunkeln

Ziemlich interessant ist die Erzählperspektive. Noch zwanzig Jahre nach den Vorfällen, grübeln die inzwischen erwachsenen Männer, die ehemaligen Nachbarjungen, über sie nach. Nur durch Mutmaßungen, Beobachtungen und Bruchfetzen, wo jemand Kontakt mit der Familie Lisbon hatte, wird die Geschichte rekonstruiert. So erfährt der Leser auch nie die Innensicht der Mädchen oder der Eltern. Es ist alles sehr verschleiert und unklar.

Die Presse wird durch diese Taten auf des Thema aufmerksam und analysiert, ob Selbstmord unter Jugendlichen eine Modeerscheinung ist. Damit wird zwar im Amerika der 70er-Jahre ein Tabuthema gebrochen, aber ein richtiger Umgang mit dem Problem findet nicht statt.

Teilweise wusste ich wirklich nicht, wie ich den Text interpretieren sollte und deshalb nehme ich jetzt eine Passage aus der Zeit zu Hilfe:

„Jeffrey Eugenides zeichnet in seinem Debütroman das Porträt einer Jugend, die ihre Unschuld verloren hat. Schaurig-lustig und zärtlich zugleich erzählt er von Liebe und Todessehnsucht, Erinnerung und Phantasie und entlarvt das Mittelklassen-Dasein als leeren, schönen Schein.“

Quelle: http://www.zeit.de/feuilleton/kulturbrief/2004/12/eugenides

Besser kann man diesen Roman nicht in Worte fassen und deswegen versuche ich es auch gar nicht. Eines habe ich beim Lesen von allen Werken Jeffrey Eugenides gelernt: Man muss bei ihm jeden Satz sehr aufmerksam und konzentriert lesen und immer mitdenken. Denn hinter den einzelnen Sätzen verbirgt sich teilweise so viel, das einem wichtige Details sonst entgehen. Es ist definitv ein Buch über das man nachdenken und diskutieren kann, denn es wirft viele gesellschaftliche Fragen auf. Darin ist Eugenides ein echter Spezialist.

Wenn ihr also mal etwas ganz anderes lesen wollt, und damit meine ich nicht nur diese krasse Geschichte, sondern auch die außergewöhnliche Erzählperspektive und Eugenides ganz eigenen Erzählton, dann lest „Die Selbstmord-Schwestern“.

Infos zum Buch:
Originaltitel: The Virgin Suicides. Farrar, Straus and Giroux, New York 1993.
Meine Ausgabe:
Verlag: rororo
01.07.2005
256 Seiten
ISBN 978-3-499-23429-3

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6 Kommentare

  1. Dieses Buch habe ich vor vielen Jahren gelesen. In Englisch. Ich erinnere mich, dass ich bei vielen Dingen im Dunkeln tappte und eigentlich viele Fragen hatte, die unbeantwortet blieben. Auf jeden Fall ein Buch, das aus der Menge hervorsticht und irgendwie ungewöhnlich ist.

    1. Hi, ja da hast du total recht! Auch wenn man zwar auf Deutsch alles versteht, wird einiges nur angedeutet und viele Fragen nicht beantwortet. LG

  2. Du fängst die Stimmung der Story gut ein und sprichst mir ganz aus dem Herzen mit dieser tollen Rezension. Eugenides gehört auch zu meinen Lieblingsautoren.
    Sofort will ich "Selbstmord-Schwestern" ein zweites Mal lesen. Vielleicht sollte ich mir auch die Verfilmung "The Virgin Suicides" (Regie und Drehbuch Sofia Coppola) nochmal anschauen … doch erreicht sie die Qualitäten des Buches leider nicht. Das Buch ist dem Film – wie ich finde – weit überlegen.
    Schöne Grüße, masuko

  3. Hi Kerstin,
    vielen dank für deine netten Worte. Habe mir bei dieser Rezi besonders viel Mühe gegegeben 🙂 Nein, ich wusste bisher nicht, dass es davon eine Verfilmung gibt! Von wann ist die? Ist sie gut? Kann mir nur schwer vorstellen, wie man diesen Inhalt filmisch umsetzt.
    Liebe Grüße
    Madeleine

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