Ich habe die Quarantänezeit in den letzten Wochen etwas dafür genutzt, um ein paar dickere Romane von meinem Stapel ungelesener Bücher „abzuarbeiten“, die sonst so schlecht in die Handtasche passen. Einer davon war Henry James‘ Bildnis einer Dame. Wie wahrscheinlich alle hatte auch ich zwischendurch öfter mal schlechte Laune von dieser Corona-Zeit und dachte, dass James‘ schöner Schreibstil mich sicherlich etwas davon ablenken könnte. Und das mit Erfolg. Wieder hat mich der amerikanisch-britische Autor nicht enttäuscht.
In seinem Roman Bildnis einer Dame von 1881 beschreibt das Schicksal der jungen Isabel Archer. Isabel wird durch ihre Tante Lydia Touchett eingeladen, sie nach England zu begleiten, wo Tante Touchett ihren kränklichen Mann besuchen will. Die beiden führen eine spezielle Art von Ehe, sind sich nicht sehr verbunden, lassen sich dagegen viele Freiheiten. So lebt Lydia Touchett eigentlich in Italien, ihr Mann allein in England. Auch Lydias Sohn Ralph, Isabels Cousin, ist leider mit einer schlechten Gesundheit geplagt und führt ein sehr zurückgezogenes Leben.
Isabel und ihr Cousin verstehen sich von Anfang an sehr gut. Ralph ist fasziniert von Isabels modernen Einstellungen und ihrem Drang nach Unabhängigkeit. Die junge Frau ist so emanzipiert, dass sie sowohl den Antrag eines reichen, amerikanischen Mühlenbesitzers ablehnt, also auch den eines englisches Lords, der sich nach ihrer Ankunft gleich in sie verguckt hat. Doch Isabel will nur eins: Frei sein und die Welt erkunden.
So schmieden Ralph und sein Vater einen Plan: Sie wollen Henry James‘ Heldin ein Auskommen geben, damit sie sich ihre Träume erfüllen kann. Deshalb ändert der alte Touchett vor seinem Tod sein Testament und vermacht fast all sein Vermögen an Isabel. Schließlich benötigt der Invalide Ralph nicht viel für sein wahrscheinlich nicht mehr langes Leben auch keine großen Reichtümer. Doch leider bringt der Geldsegen der emanzipierten Isabel nicht wirklich das Glück, das ihre beiden Verwandten für sie erhofft hatten…
Die modernen Ansichten der Isabel Archer
Ich bin ein wirklich großer Fan von Henry James. Sein Schreibstil hat so etwas wohliges, heimeliges. Obwohl er ein absoluter Klassiker der englischsprachigen Literatur ist, liest er sich so gar nicht „staubig“ oder trocken. Stattdessen erscheinen seine Ansichten oft sehr modern – so wie hier in der Figur der Isabel Archer. Für das Ende 19. Jahrhunderts scheint ihr Charakter sehr fortgeschritten im Gegensatz zum Bild, das Frauen in der damaligen Zeit eigentlich abgeben sollten. Sie will nicht Heiraten für Geld – sondern aus Liebe. Sie will frei sein, ihr Leben genießen, reisen, unabhängig sein. Total untypisch. Denn normalerweise sollten Frauen einfach den klassischen drei Ks folgen: Kinder, Küche, Kirche und froh sein, wenn ein reicher Mann sie heiratet. Umso mehr habe ich mit Isabel gelitten, als sie die Vorzeichen nicht erkennt in ihrem Leben und leider auf die falschen Freunde setzt. Trotz allem hat sie ihren Stolz und gibt bei allen Hindernissen nicht kleinbei! Sie glaubt weiter an Liebe, Würde und Freundschaft. Und gibt dem Hass und der Niedertracht in ihrem Umfeld nicht nach.
Ein typisches Motiv von Henry James‘ Romanen ist auch der Konflikt zwischen Europa und Amerika, alte und neue Welt. Auch durch die Augen von Isabels forscher Freundin Henrietta Stackpole schön festhalten, die sich als Journalistin mit Berichten über das Leben in Europa verdient macht – und definitiv nicht mit ihrer Meinung über die „Überlegenheit“ der amerikanischen Gesellschaft hinterm Berg hält.
In Isabels Figur prallen diese beiden Welten aufeinander. Aber keine kann ihr wirklich die Freiheit geben, nach der es ihr verlangt. Vielmehr muss die tragische Heldin versuchen ihren eigenen Weg zu gehen und feststellen, dass sie nur auf ihr eigenes Herz hören sollte. Kling vielleicht etwas kitschig, liest sich aber zum Glück gar nicht so. Denn Henry James schafft es seine Geschichten in einem herrlich unaufgeregten aber trotzdem wundervoll lesbaren Ton zu verpacken. Und daher lese ich seine Romane auch so gerne. Ein klassischer Autor, den ich ohne Bedenken jedem ans Herz legen würde, auch wenn man mit „älteren“ Bücher sonst vielleicht eher weniger anfangen kann.