Der Senegalese Felwine Sarr ist Sozialwissenschaftler, unterrichtet an der Duke University in Durham, ist Musiker. Bekannt geworden ist er vor allem für sein Werk „Afrotopia“, in dem er sich mit der Dekolonisation Afrikas und der Entwicklung der Demokratien dort befasst. Nun hat Felwine Sarr seinen ersten Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ veröffentlicht. Darin schildert Sarr die Geschichte von den Zwillingsbrüdern Fodé und Bouhel, die auf der Suche nach sich selbst und ihrer Bestimmung sind.
Dabei könnten die Brüder nicht unterschiedlicher leben. Beide sind im Senegal geboren und aufgewachsen. Fodé bleibt seiner Heimat treu. Er arbeitet zunächst als Schreiner und wird dann aber vom Dorfältesten zum neuen Kumax bestimmt. Der Kumax ist der spirituelle Leiter der Gemeinde und u.a. auch für die Zeremonie der Beschneidungen zuständig.
Bouhel ist dagegen zum Studium nach Frankreich gegangen. Er liebt Literatur und Musik, studiert Semiologie und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Er lebt mit seiner Freundin Ulga, die aus Polen stammt, zusammen.
Als Bouhel gemeinsam mit Ulga ihre Familie in Polen besucht, spitzt sich die Situation allerdings zu. Eigentlich ist das Paar glücklich. Doch Ulgas katholische Familie ist dem jungen Mann aus Afrika gegenüber sehr skeptisch gegenüber. Es kommt zu einem tragischen Vorfall, der die Beziehung auf die Probe stellen wird und durch den sich zeigt, dass die Brüder auch über die Kontinente hinweg spirituell miteinander verbunden sind.
„Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ ist ein vielschichtiger Roman. Eine Liebesgeschichte. Eine Familiengeschichte. Aber es dreht sich auch vieles um Traditionen und Religionen und wie diese unsere Leben bestimmen. Die beiden Brüder versuchen ihren Platz in der Welt zu finden. Dabei richtet Sarr nicht über seine Protagonisten. Kein Weg wird als der bessere eingestuft. Stattdessen wird bewusst betont, wie verbunden die Brüder sich trotz der Distanz sind. Aber auch Ungerechtigkeiten und Rassismus spielen eine Rolle.
Verpackt hat Felwine Sarr dies alles in eine wundervoll anmutende poetische Sprache, die einem fast auf der Zunge zergeht. Eine meiner liebsten Stellen war zum Beispiel folgende:
„Lesen hieß nicht nur reisen, sondern sich auflösen, an einen anderen Ort treiben lassen. Diesen Ort habe ich nie wieder verlassen. Als ich älter wurde, rissen meine Träume aus und wohnten in anderen Landstrichen. Einer davon war der Sport.“
Mein einziger Kritikpunkt ist nur, dass mir das Buch mit nicht mal 200 Seiten viel zu kurz war. Ich wäre gerne noch weiter in die beiden Welten von Fodé und Bouhel eingetaucht. Hätte mehr Details kennengelernt. Mehr über ihre Gedanken gewusst. Dann wären die Szenen- und Zeitsprünge vielleicht auch nicht so unverhofft gewesen. Bleibt zu hoffen, dass Felwine Sarr schnell einen zweiten Roman nachlegt, der vielleicht umfassender angelegt ist.