Carol Shields: Das Tagebuch der Daisy Goodwill

Auf den ersten Blick wirkt Das Tagebuch der Daisy Goodwill von Carol Shields wie die Erzählung eines gewöhnlichen Lebens. Doch je tiefer man eintaucht, desto mehr spürt man, wie außergewöhnlich das Alltägliche sein kann. Ohne großes Drama, ohne spektakuläre Wendungen. Stattdessen erzählt Shields von den leisen, oft übersehenen Momenten, die ein Leben prägen.

Daisy Goodwill wird unter ungewöhnlichen Umständen geboren, wächst als Waise bei einer Nachbarin auf und führt später ein scheinbar biederes Leben als Ehefrau und Mutter. Doch hinter dieser Fassade lauern Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und dem, was ein Leben eigentlich ausmacht. Shields wählt dabei eine besondere Erzählweise: Mal sprechen Freunde oder Verwandte über Daisy, mal kommen Tagebucheinträge oder biografische Notizen zu Wort. Diese fragmentierte Struktur lässt Daisys Leben wie ein Mosaik erscheinen – ein Puzzle, das nie ganz vollständig wirkt.

Gerade diese Erzählform fand ich spannend. Sie erzeugt eine gewisse Distanz zur Hauptfigur, die mir manchmal das Gefühl gab, Daisy nicht richtig fassen zu können – aber vielleicht ist genau das die Pointe: Wie gut kennen wir selbst die Menschen, die uns am nächsten stehen?

Das Tagebuch der Daisy Goodwill ist kein lauter, reißerischer Roman. Es ist ein leiser, melancholischer Blick auf ein Frauenleben im 20. Jahrhundert – und eine Erinnerung daran, dass auch die unscheinbarsten Geschichten ihre eigene Tiefe besitzen.

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