Amos Oz: Blackbox

Schon nach wenigen Seiten hatte ich das Gefühl, niemandem in diesem Buch trauen zu können. Jeder Brief, jede Notiz wirkt wie ein gezielt gesetztes Schlaglicht, nie wie ein ehrliches Bekenntnis. Blackbox erzählt seine Geschichte ausschließlich über Schriftstücke, und genau darin liegt seine größte Stärke – und sein Unbehagen. Man liest immer nur das, was die Figuren von sich preisgeben wollen. Oder das, womit sie den anderen verletzen, manipulieren oder auf ihre Seite ziehen möchten.

Im Zentrum steht das ehemalige Ehepaar Ilana und Alex Gideon. Ihre Beziehung ist längst zerbrochen, aber die Briefe halten sie in einem zähen, giftigen Austausch gefangen. Alex, ein berühmter Intellektueller, schreibt aus einer Mischung aus Krankheit, Bitterkeit und verletztem Stolz heraus. Ilana kontert, rechtfertigt sich, bittet, provoziert. Beide entwerfen Versionen der Vergangenheit, die sich widersprechen und doch nebeneinander stehen bleiben müssen. Wahrheit gibt es hier nicht als feste Größe, nur als Behauptung.

Dazu kommt Ilanas neuer Mann, Michael Sommo, ein religiöser Nationalist, dessen Schreiben von Missionseifer und Selbstgewissheit geprägt ist. Seine Briefe wirken fast wie Manifeste. Auch ihm ist nicht zu trauen, weil seine Moral immer an Bedingungen geknüpft ist. Jeder schreibt mit einem Ziel. Jeder will gewinnen. Jeder will gehört werden.

Besonders berührt hat mich der gemeinsame Sohn Boas. Seine Briefe sind schlicht, manchmal unbeholfen, und gerade deshalb wirken sie ehrlicher. Er scheint der Einzige zu sein, der nicht überzeugen will. Während die Erwachsenen Ideologien verteidigen und alte Rechnungen begleichen, versucht Boas, sich dem Zugriff all dieser Erwartungen zu entziehen.

Was Amos Oz hier macht, ist mehr als eine private Tragödie in Briefform. Blackbox liest sich wie ein gesellschaftliches Röntgenbild. Die Figuren stehen für politische und moralische Lager in Israel, ohne je zu bloßen Symbolen zu werden. Das Private ist politisch, und das Politische sickert unaufhörlich in die intimsten Beziehungen ein.

Dieses Buch ist anstrengend, weil es keine verlässliche Erzählinstanz gibt. Man muss ständig mitdenken, abwägen, misstrauen. Aber genau daraus entsteht seine Wirkung. Blackbox zeigt, wie sehr Sprache Macht ist. Und wie leicht Worte dazu benutzt werden können, sich selbst besser darzustellen, als man ist.

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