Blanche, das blasse, unscheinbare Mädchen, wird nicht mal von ihren eigenen Eltern groß wahrgenommen. Sie lebt zurückgezogen in ihrer Bücherwelt. Als intelligente Überfliegerin ist sie allerdings eine der jüngsten Studentinnen an der Universität. Das hat sie mit ihrer Kommilitonin Christa gemein. Mehr aber auch nicht. Christa ist das komplette Gegenstück zu Blanche. Schillernd, auffallend, strahlend schön und bei allen beliebt.
Mauerblümchen und Teufelchen
Jeder möchte mit Christa befreundet sein. Sie hat es also nicht nötig, sich mit einer Außenseiterin wie Blanche abzugeben. Warum tut sie es dennoch? Sie ist freundlich zu ihr und reagiert sogar auf eine Einladung zu ihr nach Hause. Blanches Eltern freuen sich riesig, dass ihre Tochter endlich mal eine Freundin mitbringt. Sie begrüßen Christa überschwenglich und schenken ihr mehr Aufmerksamkeit als Blanche. Da Christa sehr weit von der Universität entfernt wohnt und eine weite Anreise hat, wird sie eingeladen ein Mal in der Woche bei Blanche zu übernachten.
Antichrista
Und so zeckt sich Christa langsam in Blanches Leben rein. Sie nimmt ihr Zimmer in Beschlag, zwingt sie auf dem Boden zu schlafen, damit sie das Bett haben kann und mobbt sie regelrecht, wenn sie allein sind. Die arme Blanche leidet sehr darum, aber natürlich glauben ihr die Eltern kein Wort. Blanche allein durschaut die zwei Gesichter der Antichrista.
„Anscheinend gab es in ihrer Seele einen Schalter, der ein schnelles Umschalten zwischen Christa und Antichrista erlaubte, eine Zwischenstellung gab es nicht. Und ich fragte mich ständig, was On und Off miteinander gemeinsam hatten.“
S. 72
Deshalb muss Blanche einen Weg finden sich zu wehren, bevor Christa sie total fertig macht.
Knackig und bitterböse kommt diese Geschichte im typischen Stil von Amélie Nothomb wie ich ihn liebe daher. Die schamlose Bosheit von Christa ist gepfeffert. Die Mordgedanken von Blanche zum Teil urkomisch:
Die Meldung nahm in meinem Kopf allmählich Gestalt an: „Ein sechzenjähriges Mädchen ermodert kaltblütig seine beste Freundin und vergiftet seine Eltern mit einem Ragout, das sie aus deren Leiche zubereitet.“
S. 68
Hinter den amüsanten Dialogen verbergen sich tiefere Motive. Denn es geht eben auch um das Erwachsen werden und die Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Christa ist letzendlich nichts weiter als ein verwöhntes, reiches Mädchen, das zu Hause zu wenig Beachtung und Liebe bekommt und deswegen anderswo Aufsehen erregen will. Während Blanche sich in ihrem eigenen Körper eindeutig nicht wohl fühlt und deshalb auch in der realen Welt am liebsten unsichtbar wäre. Diese beiden Gegensätze ziehen sich an und färben ein bisschen aufeinander ab, wie Blanche am Ende zu ihrem Leid feststellen muss. Sie bleibt von Antichrista besessen!