Schon auf der ersten Seite von Der weiße Tiger wusste ich: Das wird ein ganz besonderes Buch! Denn der Protagonist Balram Halwai schreibt in diesem „Briefroman“ an keinen geringeren als den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao. „Mutiger Einstieg!“, dachte ich und wollte sofort wissen, wie es weitergeht. Denn Balram hat gehört, dass Jiabao Indien besuchen will und möchte ihm nun erklären, wie das wahre Indien aussieht – und erzählt dabei gleichzeitig seine eigene Lebensgeschichte:Balram Halwai wächst in einem kleinen Dorf mitten in Indien auf. Seine Familie ist arm – quasi so arm, dass sie es sich nicht mal leisten kann, ihm einen richtigen Namen zu geben. Eigentlich nennen sie ihn nur „Munna“ – also Junge.
Dass diese scheinbar harmlose indische Variante des klassischen „vom Tellerwäscher zum Millionär“ einen großen Haken hat, ist jedoch gleich von Anfang an ersichtlich. Denn Balram deutet gleich zu Beginn und auch immer wieder während seiner Erzählung an, dass sein Weg zum großen Geschäftsmann nicht immer nur glatt läuft, sondern dass man dafür auch über Leichen gehen muss…
Mir hat Aravind Adigas Debütroman unheimlich (!!) gut gefallen. Sein Schreibstil ist schlicht und einfach gehalten und passt somit gut zu Balrams geringer Bildung. Gleichzeitig ist der Text so scharf, sarkastisch und voll schwarzem Humor, dass ich während des Lesens tatsächlich laut loslachen musste – und das passiert mir wirklich nicht oft! Adiga zeichnet nicht das flirrend-bunte-fröhliche Indien, das wir alle aus den kitschigen Bollywood-Filmen kennen. Nein, Adigas Indien ist hart, ungerecht und hat einen bitteren Geschmack. Es zeigt den Kampf ums Überleben, die Ungerechtigkeit zwischen Reich und Arm. Er zeigt uns die Korruption, die Härte des Kastensystems, die Undankbarkeit der Herrschenden über die Schwachen. Kein Wunder, schließlich wollte Balram dem Ministerpräsidenten ja auch das wahre Indien zeigen – und uns Lesern gleich mit.
Für mich fasst die Zeit-Journalistin Susanne Meyer das Buch unheimlich gut und vor allem knackig in ihrer Rezension zusammen: „Gott brauchte sieben Tage, um die Welt zu erschaffen, dieser Schreiberling [Balram] nimmt sich sieben Nächte, und danach liegt die schöne neue Welt Indiens in Scherben“. Und trotzdem hat mir die Lektüre von Der weiße Tiger unheimlich gut gefallen. Ich schwankte ständig zwischen Begeisterung für den herrlichen Sarkasmus, dem Bedürfniss, etwas gegen diese Ungerechtigkeit unternehmen zu müssen, zwischen Mitleid für Balram und Abneigung gegen seine Vorgesetzten. Bis schließlich klar wird, dass auch diese nur in einem vergoldeten Käfig sitzen und wiederum anderen dienen müssen. Egal wie weit oben man im Leben steht, es steht immer jemand weiter drüber. Und letztlich kämpft jeder nur für sich selbst, um aus der Tretmühle des Lebens zu entkommen. Eine harte Lektion des Lebens, bei der man entscheiden muss, wie viel man gewillt ist, aufs Spiel zu setzen. Der weiße Tiger ist definitv eines meiner Lesehighlights dieses Jahr!
LG Cat
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