Baldwin Buchlingreport

James Baldwin: Von dieser Welt

James Baldwin zählt zu den bedeutensten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Und trotzdem sind seine Bücher auf deutsch quasi vergriffen, sein Name ziemlich unbekannt. Das will der dtv Verlag nun ändern und hat sich die Aufgabe vorgenommen, das Werk von James Baldwin neu aufzulegen. Dazu wurde nun als erstes Baldwins Debütroman „Go tell it to the mountains“ von Miriam Mandelkow übersetzt und erschien vor Kurzem unter dem Titel „Von dieser Welt“.

„Von dieser Welt“ erzählt vom Schicksal des jungen John Grimes‘. Die Handlung spielt  an einem einzigen Tag: Johns 14. Geburtstag. Eigentlich ein Tag, über den man sich freuen sollte, aber schnell wird deutlich, dass es kein Freudentag für den Jungen wird. Nicht nur vergessen – fast alle – seine Verwandten, dass sein Geburtstag ist. Sondern der Junge befindet sich an einem Scheidepunkt seines Lebens und muss die richtigen Weichen für seine Zukunft stellen. Soll er wirklich sein Leben der Kirche widmen, wie schon sein Stiefvater? Oder hält das Schicksal doch etwas anderes für ihn bereit? Denn eigentlich sehnt er sich nach etwas ganz anderem…

Ich habe wirklich lange über diesem Post gesessen. Immer wieder von vorne angefangen. Versucht, in Worte zu verpacken, worum es in der Geschichte geht und ob ich diesem Buch gerecht werde, wenn ich darüber schreibe. Denn obwohl es ja scheinbar nur ein Tag im Leben eines Jungen ist, wird die ganze Geschichte der Familie berichtet: Sie alle sind irgendwann der Gewalt der Weißen ausgesetzt gewesen. Johns Vater trieb das letztendlich zur Religion – was ihn aber nicht zu einem besseren Menschen macht, sondern eher zum Gegenteil führt. Er terrorisiert seine ganze Familie: egal ob seine Schwester, seine Kinder oder die verschiedenen Frauen in seinem Leben. Die Erzählung ist durch die Religiosität des Vaters stark geprägt durch Bibelzitate und Verweise, wirkt teilweise etwas schwer und „alttestamentarisch“. Das macht sie hier und da vielleicht etwas anstregender zu lesen, aber hat auch einen unheimlich Effekt beim Lesen.

Mein größeres Problem war aber Johns Vater, der für mich so ziemlich alles in einer Person vereint, was ich an der Kirche nicht leiden kann und weshalb es für mich nicht die richtige Institution ist. Als bekennende Atheistin hat es mich beim Lesen richtig wütend gemacht, wie diese Mann sich der Religion bedient, um andere zu tyrannisieren, sich überlegen zu fühlen, zu erniedrigen, zu unterdrücken – und so unfassbar scheinheilig zu sein! Denn dieser so feine Reverend Gabriel Grimes ist doch nur ein irdischer Mann, der nach Ruhm strebt, seine Frau betrügt, eine Affäre mit einem jungen Mädchen eingeht, sie schwängert und sie und das Kind in den Ruin stürzt. Aber hinter dem Schutz der Kirche und den Wortes Gottes rechtfertigt er all sein Handeln und fühlt sich unantastbar!

Auf der anderen Seite leiden wir Leser bei Johns inneren Konflikten mit: Der Junge kann quasi nichts richtig machen: Er ist durch seine Hautfarbe und somit durch die Gesellschaft determiniert. Er ist ein Schwarzer – und diese hatten in dieser Zeit nichts groß zu erwarten. Kaum Bildung, kaum Arbeit, immer abhängig von den Weißen, die sie unterjochen und „in Stellung“ halten – auch wenn der Junge sehr klug und gut in der Schule ist. Und durch die harte religiöse Erziehung seines Vaters gefangen in einer Rolle, die er vielleicht gar nicht annehmen will. Der kluge Junge soll sein Leben der Kirche opfern und ebenfalls als Prediger arbeiten, obwohl er – so wird es angedeutet – sich doch nach der (körperlichen) Zuneigung seines Freundes Elisha sehnt. John ist 14 und wird langsam zum Mann und entdeckt in dieser Zeit sich und seinen Körper ganz neu, verspürt Sehnsüchte, die vorher nicht da waren. Außerdem scheint sich in ihm nun auch endlich etwas Mut zu sammeln, um sich gegen den Vater, den er so sehr hasst, zu stellen.

Hautfarbe, Macht und Einsamkeit sind unheimlich starke Motive in Baldwins Roman. Wobei eigentlich gerade das Thema „Schwarz vs. Weiß“ im Vergleich zu den anderen Konflikten gar nicht so dominant ist, wie man es bei einem schwarzen Autor annehmen würde. Natürlich ist die Ungerechtigkeit unheimlich stark dargestellt und auch die Misshandlungen und Unterdrückungen durch die Weißen werden durch alle Familienmitglieder geschildert. Die Weißen brauchten die Schwarzen, um sich ihnen überlegen zu fühlen, um sich ihrer Macht sicher zu sein. – So wie Johns Vater seine Religiosität nutzt, um sich den anderen Schwarzen überlegen zu fühlen. Er fühlt sich als etwas besseres, traut sich sogar nachts auf die Straßen, wenn nur Weiße draußen sind. Nickt ihnen zu, lächelt sie an. Aber im Verborgenen ist er nicht besser als die Weißen. Er ist ein schwarzer Mann, der einen guten für Weg gefunden hat durch die Religion – aber statt dieses Gute aufrecht zu erhalten und seine Familie, Freunde und die Gemeinde zu unterstützen, unterdrückt er sie alle, damit er sich erhaben fühlen kann.

Und schon bin ich wieder bei meiner Wut über die Figur des Reverends gelandet. So wie er die Figuren im Buch versucht zu dominieren, so dominiert er auch meinen Leseeindruck der Geschichte. Zwar löst Baldwin verschiedene, starke Emotionen mit seinem intensiven Roman aus: Mitleid, Angst, Trauer – man wird in eine rasante Achterbahn der Gefühle gesetzt, bei der mit jeder Wendung die Fliehkraft einen von innen nach außen drückt. Aber für mich stand dabei die Wut unheimlich im Vordergrund. Nicht nur meine eigene, sondern auch die Wut, die in den Figuren schwelt. Sie brodelt in ihnen und sucht nach einem Weg heraus. Sie steigert sich, bis zum Ende von Johns Geburtstag in einer Erweckungszeremonie, die bei allen Familienmitgliedern einen starken Eindruck hinterlässt.

 

P.S.: Jaqueline Masuck hat auf ihrem Blog ebenfalls eine sehr schöne Rezension zu dem Buch gepostet. Schaut doch mal hier: Klick!

Facebooktwitterrssinstagram

4 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert