Baldwin is back! Nachdem der dtv Verlag erst zu Beginn des Jahres „Go tell it to the mountains“ unter dem Titel „Von dieser Welt“ neu herausgegeben hat, folgt nun der nächste Roman des amerikanischen Schriftstellers. Pünktlich bevor die Verfilmung von Barry Jenkins im September 2018 in den ersten Kinos laufen soll, liegt Beale Street Blues / If Beale Street could sing in den Buchläden.
Beale Street Blues ist der fünfte Roman von Baldwin und schildert die Liebesgeschichte zwischen Tish (Clementine) und Fonny (Alfonzo) im Harlem der 1970iger Jahre. Bereits zu Beginn der Geschichte ist klar, dass die Liebe unter keinem guten Stern steht, denn Fonny sitzt im Gefängnis. Über zahlreichen Rückblicke erfährt man, wie die beiden sich bereits als Kinder kennen lernten, sich langsam in einander verlieben, sich verloben. Doch kurz nach der Verlobung wird Fonny verhaftet und beschuldigt eine Frau vergewaltigt zu haben. Nun erfährt Tish auch noch, dass sie im dritten Monat schwanger ist. Die Familie von Tish setzt alle Hebel in Bewegung, um Fonny wieder aus dem Gefängnis zu bekommen, damit die beiden Liebenden wieder zueinander finden.
Beale Street Blues ist ein unheimlich bewegender Roman, der mich noch mehr fesseln konnte als Baldwins Von dieser Welt. Schon der Titel macht klar, dass es eine traurige Geschichte sein wird, die wir hier lesen werden. Tatsächlich gibt es auch einen Song mit diesem Titel von W.C. Handy. Und es gibt eine Straße in New Orleans, die Beale Street heißt.
Die Beale Street ist eine Straße in New Orleans, wo mein Vater, wo Louis Armstrong und der Jazz geboren wurden. Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street, ist im Schwarzenviertel irgendeiner amerikanischen Stadt geboren, ob in Jackson, Mississippi oder in Harlem in New York: Alle „Nigger“ stammen aus der Beale Street. Die Beale Street ist unser Erbe.
So viel zum Setting des Buches, das natürlich beherrschend über der ganzen Handlung steht. Diese teilt sich aber vor allem in zwei Themen auf: Zum einen ist das die Liebesgeschichte zwischen Fonny und Tish. Zugegeben, die beiden sind ein bisschen wie Romeo und Julia aus Harlem. Aber Baldwin schildert die Emotionen und Verliebtheit zwischen den beiden mit solch wundervollen, intensiven Worten, das sie einem wirklich unter die Haut gehen. Und ganz wichtig: er ist dabei niemals kitschig!
Auf der anderen Seite steht natürlich das harte Leben in der Beale Street und der Rassismus, dem die Bewohner ausgesetzt sind. Spannend dabei ist, dass Baldwin es auch hier wieder schafft, nie „den bösen weißen Mann“ direkt anzuprangern. Vielmehr – und so wird es auch im Nachwort von Daniel Schreiber geschildert – leiden alle Personen unter ihrer Hautfarbe. Manche natürlich mehr, wie Fonny, und andere weniger, wie der weiße Polizist, der Fonny verhaften ließ. Aber auch er ist nicht der klassische Archetyp des bösen Weißen. Er ist ein rothaariger Ire, selbst eingewandert und nicht in diesem Amerika zu Hause. Aber er fügt sich schnell in das System ein und passt sich an, damit er nicht auch Ziel der Diskriminierungen wird. Natürlich steht er damit noch am oberen Ende des sozialen Gefüges. Aber letztlich wird auch er über seine Hautfarbe und sein Äußeres determiniert.
Ein System das durch Hautfarbe regiert wird
Interessant ist auch, dass selbst innerhalb von Fonnys Familie ein Unterschied zwischen den Hautfarben gemacht wird. Fonnys Mutter und beide Schwestern sind viel heller als er – deshalb stecken sie quasi in einer Zwischenwelt. Sie sind nicht weiß, sie sind nicht richtig schwarz. Aber trotzdem halten sie sich für etwas besseres als die Schwarzen – werden damit aber auch nicht glücklich, wie Tish es ganz richtig ausdrückt:
Eigentlich sind sie beide bloß gewöhnliche Mädchen aus Harlem, auch wenn sie es bis zum City College geschafft haben, aber auf dem College hat sich einfach nichts für sie getan, gar nichts: Die Brüder mit den Abschlüssen wollten sie nicht; wer seine Frau schwarz will, will sie schwarz, wer seine Frau weiß will, will sie weiß. Da stecken sie fest, und für alles geben sie Fonny die Schuld
Eines haben aber alle Figuren gemeinsam: Sie werden unterdrückt von einem gnadenlos-ungerechten System, das ihnen keine Chance gibt. Sie sind diesem völlig ausgeliefert und haben kaum eine Möglichkeit daraus auszubrechen, geschweige denn, sich zu wehren. Ohne wirkliche Beweise kann Fonny einfach ins Gefängnis gesperrt werden und sein Leben und das seiner Familie einfach zerstört werden:
Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissenen freien Land. Von irgendwem muss man der Nigger sein. Wenn man niemandes Nigger ist, dann ist man ein böser Nigger.
Immer noch brandaktuell
Inspiriert wurde Baldwin zu dieser Geschichte vom Schicksal eines guten Freundes, der ebenfalls ohne Schuld ins Gefängnis kam und erst sechs Jahre später entlassen wurde. Ein Thema, das heute in der Zeit von #blacklivesmatter noch genauso brandaktuell ist, wie zur Zeit, als Baldwin es zu Papier brachte.
Mich hat die Geschichte von Fonny und Tish unheimlich berührt. Baldwins Sprache ist so eindringlich, dass man von der Geschichte aufgesogen wird, voller Mitgefühl ist für die beiden und ihre Situation. Aber man spürt auch ihre Liebe zueinander und – allem voran – die Hoffnung, die sie niemals aufgeben. Ich konnte das Buch wirklich kaum aus der Hand legen, so sehr hat mich die Sprache von Baldwin gefesselt. Im Gegensatz zu „Von dieser Welt“ liest es sich viel leichter, auch wenn die Thematik in beiden Büchern recht ähnlich ist. Es geht wieder um Unterdrückung, Macht und Hautfarbe. Aber hier war der religiöse Faktor nicht so groß, wie in „Von dieser Welt“, der das Buch durchaus zu einer schweren Lektüre machte an manchen Stellen. Während mich „Von dieser Welt“ an vielen Stellen wütend gemacht hat mit seinen Figuren, hat mich hier aber vor allem die Hoffnung berührt, die in Fonny und Tish lebt. Egal wie aussichtslos ihre Situation zu sein scheint, sie geben nie auf! Sie kämpfen für ihr Recht! Für eine gemeinsame Zukunft als Familie! Für die Hoffnung, dass es möglich sein muss, so ein System auszuhebeln!
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