Zadie Smith: London NW

“Die pralle Sonne trödelt bei den Telefonmasten.”
Ich bin verwirrt, verwirrt, verwirrt! Das habe ich die meiste Zeit bei der Lektüre dieses Buches gedacht. Ich komme nicht mit. Aber es gibt auch nichts wobei man mitkommen muss, ist mir irgendwann aufgefallen. Man muss das Geschriebene einfach vor sich hinplätschern lassen und irgendwann kommt man in den “flow” rein. Um es mal etwas zu konkretisieren: die Handlung besteht aus vielen einzelnen, sehr kurzen Kapiteln (teilweise nur ein Absatz). Am Anfang dreht sich alles um Leah Hanwell, die lethargisch, bzw. high in ihrer Hängematte rumhängt und möchte, dass ihr Leben stillsteht. Daher kommen so schräge Absätze, wie:

                      “Apfelbaum, Apfelbaum.
Ding mit Äpfeln dran. Apfelblüte.
So was von symbolisch.” (usw.)

Darauf muss man sich einlassen und sehen, welchen Sinn das für einen ergibt. Vieles muss man sich selbst assoziativ zusammenreimen, da die Dialoge oft sehr abgehackt und unzusammenhängend sind. Die Story gab daher auch für mich erst recht spät einen Zusammenhang. Das Buch ist untergliedert. Erst wird alles aus Leahs Perspektive geschildert, dann aus Felix’ und am Schluss aus Nathalies. Immer wieder taucht zudem die Figur Nathan auf. Alle vier wachsen im selben sozialen Brennpunkt im Londoner Nord-Westen auf. Leah, Nathan und Natalie sind zusammen zur Schule gegangen. Leah und Natalie sind beste Freundinnen, obwohl sie sehr unterschiedlich sind. Leah will kein Kind, hat schon einige Abtreibungen hinter sich und verheimlicht ihrem Mann, dass sie doch noch die Pille nimmt. Der wundert sich natürlich, warum seine Frau nicht schwanger wird. Leah ist zufrieden mit ihrem einfachen Leben und hat keine ehrgeizigen Ziele. Ganz im Gegenteil zu ihrer Freundin Natalie, die sich erfolgreich aus der Unterschicht ganz nach oben gekämpft hat und mit 30 eine reiche Anwältin ist, einen ebenso reichen Ehemann und zwei Kinder hat. Aber hinter dieser Fassade steckt eigentlich eine Frau, die nicht weiß, wer sie wirklich ist, weil sie ihr Leben lang immer nur in verschiedene Rollen geschlüpft ist. Diese Betrachtungen fand ich sehr interessant und daher hat mir der letzte Teil über Natalie (die eigentlich Keisha heißt) am besten gefallen. Der letzte Teil des Buches war für mich am tiefgründigsten und gab am meisten Sinn.

Ich würde sagen, dass ich nicht so viel Spaß beim Lesen hatte und ich daher das Buch nicht jedem empfehlen kann. Das lag vor allem an dem unzusammenhängenden Schreibstil, einzelne Dinge wurden erwähnt, die für mich keinen Sinn ergaben. Andererseits bekommt man einen soziologischen Einblick in Londons Multikulti-Unterschicht, die mir eigentlich sehr sympathisch war. London NW ist sicher ein Buch für anspruchsvolle Leser, die sich nicht einfach an einer banalen Story lang hangeln wollen, sondern sich gern von einem besonderen Stil einfangen lassen.

 

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4 Kommentare

  1. Hach, Maike, danke für deinen Kommentar. Mich beruhigt es ebenfalls, dass es dir ähnlich erging. Ich dachte schon, ich wäre nicht mehr in der Lage anspruchsvolle Literatur auf höherem Niveau zu lesen 🙂 Vielleicht hätte ich mehr Ruhe und Muse in die Lektüre stecken sollen. Aber als Reiselektüre im Flugzeug hat das Buch bei mir nicht gezündet.
    Liebe Grüße
    Madeleine

  2. Mir ging es ähnlich mit dem Buch. Zadie Smith wird scheinbar besonders im UK sehr gehypt (oder wenigstens in meinem Youtube-Feed) also habe ich es mir vor einem knappen Jahr auf englisch gekauft. Und dann bereits nach kurzer Zeit abbrechen müssen, weil ich überhaupt nicht zurecht gekommen bin. Aber es beruhigt mich, dass es dir mit der Übersetzung ähnlich ging! Liebe Grüße, Maike

  3. Hi Jimmy,

    danke für deinen Kommentar. Der Roman ist auch wirklich nicht schlecht, man muss sich nur auf eine abgehackte Erzählweise einstellen, wo man einzelne Puzzleteile selbst zusammensetzen muss. Wenn dir sowas gefällt, ist das sicher ein Buch für dich. Würde mich freuen, wenn du es liest. Wäre gespannt, was du dazu sagst.

    LG
    Madeleine

  4. Ich habe bisher noch nichts über das Buch gehört .. aber obwohl du das Buch nicht jedem empfiehlst, spricht mich deine Beschreibung an. Ich mag wirre Bücher ganz gern, zumindest wenn sie nicht unlogisch-wirr sind, sondern poetisch-wirr und viel Freiraum für Interpretationen lassen. Ich überlege mir auf jeden Fall nun genauer, ob es etwas für mich sein könnte. Danke für deine ehrlichen Worte!
    LG Jimmy

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