Marguerite Duras: Die Verzückung der Lol V. Stein

Marguerite Duras’ Die Verzückung der Lol V. Stein ist kein Roman, den man einfach liest. Man tastet sich durch ihn hindurch, wie durch einen Nebel aus Erinnerung, Obsession und Sprachlosigkeit. Es ist ein Buch über eine Frau, die durch einen einzigen Moment aus der Welt fällt – und nie ganz zurückkehrt.

Lol V. Stein ist neunzehn, als ihr Verlobter Michael Richardson sie bei einem Ball verlässt – für eine andere Frau, Anne-Marie Stretter. Diese Szene, fast filmisch inszeniert, ist der Ursprung eines inneren Bruchs. Lol wird zur Beobachterin ihres eigenen Lebens. Sie heiratet später einen anderen Mann, bekommt Kinder, kehrt in ihre Heimatstadt zurück – aber sie bleibt abwesend, entrückt, verzückt.

Duras erzählt diese Geschichte nicht linear. Sie lässt sie durch die Augen eines Mannes berichten, Jacques Hold, der selbst in Lol verliebt ist und sie zugleich beobachtet, analysiert, begehrt. Die Perspektive ist verschoben, fragmentiert, wie durch ein Prisma. Lol erscheint nie ganz greifbar – sie ist Projektion, Rätsel, Spiegel.

Was mich beim Lesen besonders berührt hat, ist die Art, wie Duras mit Zeit und Erinnerung arbeitet. Der Roman kreist um einen einzigen Moment – den Ball in T. Beach – und kehrt immer wieder zu ihm zurück, wie in einer Schleife. Die Gegenwart ist durchzogen von Vergangenem, das nie abgeschlossen ist. Lol lebt nicht in einer linearen Zeit, sondern in einer Art Schwebezustand, in dem alles gleichzeitig geschieht: das Damals, das Jetzt, das Vielleicht.

Die Sprache in „Lol v. Stein“ ist typisch Duras: elliptisch, poetisch, manchmal fast hermetisch. Es geht weniger um Handlung als um Atmosphäre, um das Schweigen zwischen den Sätzen. Die Verzückung ist kein ekstatischer Zustand, sondern eine Form der Entfremdung. Lol ist nicht verrückt – sie ist entrückt. Sie lebt in einer Zwischenwelt, in der die Vergangenheit wie ein Echo nachhallt.

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