Seit ich im September im Urlaub in Albanien war, wollte ich unbedingt ein Buch von Ismael Kadare lesen. Denn man kann dem berühmtesten Autor des Landes dort einfach nicht entkommen. Überall sind Straßen nach ihm benannt, gibt es Büsten und gerade in seiner Geburtsstadt Gjirokastra wird Kadare sehr gefeiert. Gesagt, getan! Also habe ich mir vor kurzem zwei Romane von Kadare bei Dussmann erstanden.
In „Der Nachfolger“ schildert Kadare den Tod eines hohen Politikers. Zuerst spricht die Presse von einem Selbstmord, doch schnell kommen Gerüchte auf, dass der Nachfolger umgebracht wurde. Als Täter kommt auf einem die Familie des Toten in Frage. Dann der Innenminister. Und bezichtigt sich ein Architekt als Schuldiger. Denn er hat für den Nachfolger ein herrschaftliches Haus gebaut, das größer als das des Herrschers war. Damit habe er Neid und Argwohn auf den Nachfolger gelenkt.
Kadare zieht seine Leser in ein totalitäres System hinein
Wer wirklich der Mörder war, kommt niemals heraus. Denn es geht allein darum, Macht zu zeigen. Der Herrscher hat die Zügel seines Volkes noch fest in der Hand. Niemand kann ihm etwas anhaben. Wer ihn zu stürzen droht, wird eliminiert oder mit Verdacht und Gerede denunziert. Niemand ist in diesem System sicher und man kann niemandem vertrauen.
Ismael Kadare hat in „Der Nachfolger“ wahre Ereignisse von 1981 aufgegriffen: Damals verstarb der albanische Ministerpräsident Mehmed Shehu unter mysteriösen Umständen. Offiziell galt sein Tod als Selbstmord. Mangels Gewissheiten überschlugen sich die Gerüchte und verbreiteten Angst und Schrecken. Viele halten bis heute den damaligen Präsidenten Enver Hoxha als Drahtzieher.
Kadares Roman hält seinen Leser sehr in der Schwebe. Man weiß nicht recht, was man da eigentlich liest. Einen Krimi? Einen politischen Roman? Eine Liebesgeschichte, um die Tochter des Nachfolgers, deren Verlobung (aus politischen Gründen) gelöst wurde? Aber eigentlich geht es gar nicht darum. Auch nicht darum, wer der Mörder ist. Irgendwie sind alle Beteiligten mit Schuld an diesem Tod. Und das nagt an ihnen. Sie sind alle Teil dieses stalinistischen System Albaniens und langsam fängt dieses an, die Figuren zu zersetzen. Bedrohung, Machtspiele, Angst, Gerüchte, Lügen, Fremdbestimmtheit sind nur einige Mittel, denen sich der Herrscher bedient.
Hintergrundwissen zu Kadares Leben
Spannend ist, dass Ismael Kadare selbst in diesem System zu Lebzeiten sehr verstrickt war. Lange wurden seine Werke verboten, bis sie im Westen Aufmerksamkeit erregten. Dann wurde Kadare beschuldigt, Spion des Westens zu sein. Andererseits wurde er nach seinem Durchbruch im Ausland dazu bestimmt Parlamentsabgeordneter zu werden. Der Ruhm im Ausland machte ihn etwas unantastbar, wenn auch mit Einschränkungen bei seiner Arbeit.
Kadare selbst war mit Mehmed Shehus Sohn bekannt. Shehu und Enver Hoxer hielten Kadare ebenfalls für einen Spion und sollte in mit gefälschten Aussagen angeklagt werden als Feind der Partei und der Diktatur des Proletariats.
Dies ging solange, bis Kadare 1990 politisches Asyl in Frankreich erhielt.
Mit diesem Hintergrundwissen kann man sich noch viel mehr in die Geschichte einfühlen. Und wie es Kadare selbst innerhalb dieses totalitären Systems gegangen ist. Für mich war der Einstieg in das Buch auf jeden Fall sehr stark, da Kadare gleich mit der Tür ins Haus fällt. Zum Ende hin wurde das Buch für mich aber – vor allem ohne die historischen Infos, die ich mir erst danach angelesen hatte – etwas schwächer.