Émile Zola: Thérèse Raquin

Auf den ersten Blick wirkt Thérèse Raquin von Émile Zola harmlos – ein schmales Buch, schnell gelesen. Aber die wenigen Seiten haben es in sich. Hinter der unscheinbaren Fassade verbirgt sich eine düstere Geschichte über Leidenschaft, Schuld und die zerstörerische Kraft des schlechten Gewissens.

Thérèse Raquin lebt ein freudloses Leben im Kurzwarenladen ihrer Schwiegermutter. Ihr Mann Camille ist kränklich, langweilig und mehr Belastung als Partner. Als Laurent – charmant und draufgängerisch – in ihr Leben tritt, beginnt eine Affäre, die bald fatale Konsequenzen hat. Der Plan, Camille zu beseitigen, scheint zunächst die Lösung aller Probleme. Doch statt Freiheit finden Thérèse und Laurent etwas anderes: Schuld, Angst und eine langsam wachsende Abscheu voreinander.

Zola erzählt das mit einer schonungslosen Klarheit. Es gibt keine Helden, keine Sympathieträger – nur Menschen, die von ihren Begierden und ihrer Angst getrieben werden. Besonders beeindruckend fand ich, wie der Roman nach dem Mord an Intensität gewinnt. Während viele Kriminalgeschichten mit der Tat ihren Höhepunkt erreichen, beginnt bei Thérèse Raquin das eigentliche Drama erst danach. Die psychische Zersetzung der beiden Hauptfiguren ist beängstigend präzise beschrieben und zieht einen unweigerlich in den Abgrund mit hinein.

Was mich überrascht hat: Trotz der fast klinischen Beobachtung seiner Figuren ist Zolas Sprache nie trocken oder distanziert. Im Gegenteil – die Emotionen brodeln unter der Oberfläche und brechen immer wieder in erschreckender Heftigkeit hervor.

Ein schmaler Roman, aber schwer zu verdauen. Wer düstere Psychogramme liebt, sollte sich dieses beklemmende Meisterwerk Thérèse Raquin nicht entgehen lassen.

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