Die männliche Variante von Emma Bovary, Anna Karenina oder Effi Briest!
Newland Archer, aus den besten New-Yorker-Kreisen, wird von gesellschäftlichen Zwängen erdrückt und muss sich zwischen einer guten und schlechten Partie entscheiden. Welches Mädchen soll er heiraten?
Edith Wharton porträtiert den New Yorker Geldaldel vor der Jahrhundertwende und den Umbrüchen durch den ersten Weltkrieg, nämlich in den 1870er Jahren. Als Aufhänger dafür nimmt sie den jungen Newland Archer, der sich mit der mädchenhaft, unschuldigen May Welland verloben will. Eine ständesgemäße Verbindung im auserlesenen New Yorker High-Society-Kreis. Kurz bevor die Verlobung verkündet werden soll, taucht jedoch Mays Cousine Ellen Olenska aus Europa auf. Sie hat bereits schlechte Erfahrungen in ihrer Ehe gemacht und ihren Ehemann verlassen – ein Skandal für die New Yorker Gesellschaft! Das denkt anfangs auch Archer, der gesellschaftliche Konventionen und Regeln für sehr wichtig hält. Aber als er die Gräfin Ellen Olenska näher kennenlernt, ist er bereit, seine Ansichen über Bord zu werfen. Denn sie ist anders, eigenwillig, hat einen starken Charakter. Newland fühlt sich sofort von ihr angezogen.
Pflicht oder Leidenschaft?
Der Leser spürt Newland seine Seelenqual an. Gibt es denn keine Lösung, die alle drei Personen glücklich machen kann? Eine aussichtslose Situation, deren Ausgang ich auch nicht vorwegnehmen will. Euer Lesevergnügen soll ja nicht getrübt werden.
Hintergrund
Im Manesse Verlag ist jetzt eine Neuübersetzung des Romans erschienen. Das Original “The Age of Innocence” wurde bereits 1920 veröffentlicht und ist daher ein Amerikanischer Klassiker. 1921 erhielt Wharton dafür den Pulitzer Preis. Sie war zu ihrer Zeit, sie lebte von 1862 bis 1937, eine sehr anerkannte Schriftstellerin und moderne, emanzipierte Frau. Die Yale University verlieh ihr, als erste Frau überhaupt, die Ehrendoktorwürde. Im Nachwort des Romans kann man noch einiges mehr über sie und die Entstehung des Romans erfahren, was mich persönlich sehr interessiert hat.
Die Sprache
Faszinierend an dem Roman ist auch die Sprache. Die Probleme werden nie direkt ausgeprochen, sondern in schöne Umschreibungen verpackt. Hinter den einzelnen Worten liegt oft viel mehr Bedeutung als man auf den ersten Blick meint. Der wichtigste Satz, der alles verändern könnte, klingt sowas von nüchtern: “Soll ich ein Mal zu dir kommen und dann heimfahren?” fragt Ellen Olenska Archer Newland? Damit gemeint ist, ob sie einmal mit Archer schlafen und dann nach Europa zurückkehren soll. Eine Entscheidung von ernormer Größe!
So erscheint auch im Rückblick die Figur der May tiefgründiger als erwartet. Sie, die immer nur oberflächliche Dinge sagt, ist sich genau bewusst, welche Bedrohung von ihrer Cousine ausgeht und weiß diese gekonnt mit den richtigen Taten einzudämmen.
Ein Roman voller Feingefühl und Tiefgang. Dazu noch das schöne Cover. Ein super schönes Geschenk würde ich sagen. Im Bücherregal ergibt es mit Whartons anderen Büchern wie z.B. Dämmerschlaf eine sehr schöne Reihe.
Ich hoffe, ich konnte euch damit vor Weihnachten noch inspirieren. Es ist sicherlich auch eine schöne Lektüre für die Feiertage. Am Kaminfeuer liest sich die Geschichte besonders gut 🙂