Eine Neuheit aus Spanien
Marta Orriols ist eine neue Autorin aus Barcelona. Ich liebe Literatur aus Barcelona und wollte allein deswegen den Roman gerne lesen. Aber auch, weil es darin um eine starke Frau in einer sehr speziellen Situation geht.
Paula Cid ist Anfang 40 und führt ein gutes Leben. Sie ist Neonatologin und arbeitet auf der Frühchen-Intensivstation im Krankenhaus, ein sehr anstrengender Job. Im Gegensatz dazu führt sie ein ruhiges und zufriedenes Privatleben mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Mauro. Heiraten und Kinder bekommen wollte sie nie. Mauro insgeheim jedoch schon. Und darum fällt Paula aus allen Wolken, als Mauro eines Tages beim Mittagessen mit ihr Schluss macht, weil er schon längst mit einer anderen zusammen ist.
Als wäre dieser Schock nicht genug, kommt Mauro später am selben Tag bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben. Paula kann es nicht fassen. Sie trauert um ihre langjährige Liebe und ist gleichzeitig wütend und sauer, weil sie betrogen wurde. Sie fragt sich, ob sie es hätte merken müssen, ob es Anzeichen gab, ob Mauro wirklich der war für den sie ihn gehalten hat. Wie geht sie nun mit diesen widersprüchlichen Gefühlen um?
Ein unaufgeregtes Gefühlschaos
Es ist spannend zu verfolgen, was in der Hauptfigur vorgeht, wie sie in einem Prozess, der über ein Jahr dauert, alles versucht zu verarbeiten, zwischen Trauer, Hass, Wut und Selbstzweifeln schwankt. Doch irgendwie muss ihr Leben weitergehen und sie muss es neu auf die Reihe bekommen.
Der Roman ist ein Drama und eine Liebesgeschichte in einem. Originelle und ehrliche Zwiegespräche mit dem toten Mauro bringen Tiefgang in den Text und bewahren ihn davor allzu kitschig zu werden und wie eine Seifenoper zu wirken. Die oberflächliche Affäre mit Quim, einem muskelstrotzenden, gutaussehenden Tischler, wirkt hingegen sehr abgedroschen und klischeehaft. Aber ich glaube, das ist auch ein bisschen die Intention der Autorin. Denn nur dadurch gelangt Paula zu einem Wendepunkt in ihrem Leben. Die Krankenhausszenen dagegen sind ernst, aber auch teilweise witzig, und passen gut in die Thematik. Der Tod von Paulas Mutter in früheren Jahren, Mauros Tod und die Frühchen, die sie nicht retten kann, sind das verbindende Grundelement des Romans. Klingt deprimierend, ist es aber nicht. Marta Orriols schafft es, dass der Leser am Ende das Buch mit einem positiven und hoffnungsvollen Gefühl zuschlägt.
Mein Lieblingszitat
„In einer Stadt am Meer spielen sich Tragödien gewöhnlich vor einer dramatisch schönen Kulisse ab, doch nach Mauros Worten blieb das Tosen aus. Die Wellen rollten weiter sanft auf den Strand, sie erinnerten mich an den Saum eines weißen, über gebräunte Beine schwingenden Sommerrocks.“
S. 76
Der Erzählstil ist unaufgeregt und vermittelt Paulas ohnmächtige Schockstarre wirklich gut. „Der Moment zwischen den Zeiten“ ist ein Titel, der super zu diesem Roman passt, finde ich. Es ist ein Übergangsroman, der übrigens noch relativ neu und erst im Oktober 2020 bei dtv erschienen ist, übersetzt von Ursula Bachhausen. Unter dem Link findet ihr übrigens auch ein sehr nettes Vidoeinterview mit Marta Orriols. Ich finde sie darin mega sympathisch! Habe mir das Buch übrigens selbst gekauft 😉