Thomas Mann: Joseph und seine Brüder

Mit Thomas Mann verbindet mich seit vielen Jahren eine Art Hass-Liebe. Schon in der Schule musste ich mich durch Tonio Kröger und den Tod in Venedig lesen. In der Uni kamen dann die Buddenbrooks (mein absoluter Favorit von ihm) und der Zauberberg hinzu. Über die beiden Bücher habe ich zu Schluss sogar meine Magisterarbeit geschrieben. Aber schon damals wusste ich: Thomas Manns Romane erschließen sich dem Leser nicht unbedingt auf den ersten Blick. Der Autor selbst sagte wohl über den Zauberberg, dass man das Buch sieben Mal lesen müsse, um es wirklich ganz zu verstehen. Nichtsdestotrotz, wollte ich immer mal seine Josephs-Romane lesen. Und durch die Corona-Krise hatte ich nun ausreichend Lesezeit, um dieses Langzeitprojekt endlich durchzuziehen.

Viele Literaturexperten sehen in Manns Joseph-Tetralogie sein Hauptwerk. Aber da die über 1900 Seiten doch sehr wuchtig sind (und Thomas Manns Stil nicht immer der einfachste), schreckt es wahrscheinlich viele Leser ab. Thomas Mann hat hier die Geschichte aus der Bibel über Jaakob und seine vielen Söhne aufgegriffen und weiter ausgeschmückt. Inspiriert wurde er dazu angeblich von Goethe, der sagte: „Höchst anmutig ist diese natürliche Erzählung, nur erscheint sie zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen“

Thomas Mann also nimmt sich diesem Stoff an, schmückt ihn aus, geht in die Tiefe und haucht allen Charakteren Leben ein, selbst jenen, die in der Bibel nur kurz „abgefrühstückt“ werden. Um wirklich eine umfassende Erzählung von Josephs Leben abzubilden geht der Autor sogar so weit, dass der erste Band eigentlich in einer Zeit spielt, in der Joseph noch gar nicht am Leben ist. Vielmehr wird geschildert, wie sein Vater Jaakob zu seinen Frauen und den vielen Söhnen – für nicht Bibel-Kenner wie mich: es sind ganze 12 – kam:

Jakob hatte zwölf Söhne. Die Söhne Leas waren: Ruben, der Erstgeborene Jakobs, ferner Simeon, Levi, Juda, Issachar und Sebulon. Die Söhne Rahels waren: Josef und Benjamin. Die Söhne Bilhas, der Magd Rahels, waren: Dan und Naftali. Die Söhne Silpas, der Magd Leas, waren: Gad und Ascher. Das waren die Söhne Jakobs, die ihm in Paddan-Aram geboren wurden. Gen 35,22–27

Die Geschichte Jaakobs

Diese lange Vorbereitung dient vor allem dazu zu zeigen, wieso Joseph Jaakobs (Thomas Mann schreibt ihn mit zwei a, die Bibel mit einem) liebster Sohn ist und wie sich dadurch der Zwist zwischen den Brüdern regt. Für Jaakob ist Joseph, obwohl er der Zweitjüngste ist, der „richtige“ Sohn, da seine Mutter Rahel ist – die Frau in die Jaakob sich unheimlich verliebt hatte. Durch einen fiesen Trick von Rahels Vater hat Jaakob aber zunächst Rebekkas Schwester Lea  geheiratet. Eigentlich müsste also der Erstgeborene Ruben sein. Doch als Rahel endlich Joseph das Leben schenkt, rückt er für den Vater gleich an die erste Stelle. Joseph wird also schwer gepampert von seinem Vater und wird dadurch auch ziemlich eingebildet. Die Stimmung zwischen den Brüdern kocht also gleich im ersten Band.

Der junge Jospeh

In Band zwei kommt, was kommen musste: Die Brüder stellen sich vollends gegen Joseph. Nachdem dieser dem Vater auch noch ein wertvolles Kleid abschwatzt, das das Erstgeburtsrecht symbolisiert, und darin gekleidet einen großen Aufttritt vor seinen Brüdern hinlegt, sehnen sich diese nach Rache. Sie verprügeln Joseph und werfen ihn in einen ausgetrockneten Brunnen. Nach drei Tagen rückt plötzlich eine Karawane reisender Händler an und die Brüder verkaufen Joseph in die Sklaverei.

Joseph in Ägypten

Joseph landet mit der Karawane in Ägypten und wird als Sklave weiterverkauft. Er nennt sich von nun an Osasirph, da er sein altes Ich im Brunnen begraben hat und nun „Joseph der Osiris“ ist – wie die Ägypter ihre Toten nennen. Durch seine Beredsamkeit und sein gutes Aussehen gelingt ihm schnell der Aufstieg und er leitet bald den Haushalt von Potiphar, dem Groß-Eunuch des Königs. Doch Potiphars Frau verguckt sich in Jospeh, macht ihm den Hof und schließlich wird er – fälschlich – beschuldigt, seinen Herrn betrogen zu haben und wird deshalb ins Gefängnis geschickt.

Joseph, der Ernährer

Joseph wird aus dem Gefängnis gerettet und es gelingt ihm, den Traum des Pharaos von sieben fetten und mageren Kühen sowie von sieben vollen und leeren Kornähren zu deuten. Er organisiert das Land neu und schafft es so, Ägypten über Dürrephasen und Hungersnöte zu retten. Zum großen Finale tauchen die Brüder wieder auf, das sie ebenfalls Hunger leiden und Korn kaufen müssen in Ägypten. Letzlich versöhnen sich die Geschwister und Jaakob kann seinen  geliebten Sohn endlich wieder in die Arme schließen.

Soweit die inhaltliche Kurzfassung, die ja kein Geheimnis ist. Das besondere ist wie gesagt, mit wie viel Liebe zum Detail Thomas Mann diesen alten Stoff aufrollt. Das ist manchmal unheimlich schön zu lesen. Manches Mal aber auch etwas anstrengend. Denn Thomas Mann ist schließlich bekannt für seine Bandwurm-Sätze. Hinzu kommt, dass die Charaktere zum Teil mit verschiedenen Namen und Titel angesprochen werden, die zum Teil nicht ganz griffig sind, zum Teil auch etwas ähnlich klingen. Man muss also unheimlich aufpassen, wer jetzt grade gemeint ist.

Wer sich darauf einlässt, kann wunderschönen Schilderungen folgen und auch Zeuge von Manns ganz eigenen Humor werden. Hier ein schönes Beispiel aus dem ersten Band:

Oder auch diese Beschreibung, wie sich Sichem in Jaakobs Tochter Dina verguckt:

Zugegeben, Joseph ist nicht immer ein „Held“, den man gerne hat. Besonders am Anfang ist er ein unheimlicher Aufschneider und Angeber. Kein Wunder, dass seine Brüder sauer auf ihn werden. Aber so haucht Thomas Mann der Erzählung Leben ein, gibt ihr eine Seele so wie auch seinen Charakteren, die im biblischen Original ja immer nur sehr schlicht und sachlich beschrieben werden. Hier erhalten sie Motivation, Motive, Gefühle und werden zu menschlichen Charakteren, deren Handeln nachvollziehbar wird. Auch Figuren, die sonst nur am Rande auftauchen – meist die weiblichen Charaktere in der Bibel wie Potiphar – kommen hier zum Zuge.

Für die Lektüre Bedarf es sicherlich eine Menge Geduld und Aufmerksamkeit. Aber biblisches Vorwissen benötigt es nicht. Ich als Atheist konnte der Handlung auch so gut folgen. Wobei es sicherlich spannenden ist, das Bibel-Original mit der Version Thomas Manns zu vergleichen. Ich habe dies in Auszügen nur nachgelesen. Für „Experten“ ergeben sich so sicherlich noch viele weitere Ebenen der bei der Lektüre. Aber auch so bin ich froh, dass ich dieses „Lese-Experiment“ durchgeführt habe und trotz der Vielzahl an Seiten nicht aufgegeben habe. Für Thomas Mann-Einsteiger würde ich aber dennoch die kürzeren Novellen wie Tod in Venedig oder meinen Liebling die Buddenbrooks empfehlen. Hier bekommt man einen schönen ersten Eindruck seines Stils und kann es dann immer noch mit dem Magnus Opus rund um Joseph und seine Brüder aufnehmen.

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